Freies Schauspiel Ensemble zeigt ein bewegendes »Annette. Ein Heldinnenepos«

Immer sichtbar im Hintergrund auf der Bühne im Bockenheimer Titania: ein Konzertflügel, aufgeklappt. Ein Zeichen für die höheren Sphären, Kunst, Kultur? So, wie das »Epos« auch eine klassische literarische Form evoziert, mit der Helden – oder wie hier eben auch eine Heldin – besungen werden? … Unsere Heldin kommt eher aus kleinbürgerlichen Verhältnissen … Dagegen der Bühnenboden: bedeckt mit camouflageartiger Plastikplane, Zeichen partisanenmässig kämpfender Widerstandsgruppen und die Spannbreite der Erzählung, die uns erwartet, ist angedeutet.
Die jetzt in Paris lebende Offenbacherin Anne Weber erzählt in »Annette, ein Heldinnenepos« von Anne Beaumanoir, genannt Annette (1923–2022), einer Kämpferin in der französischen kommunistischen Resistance (gegen das Vichy-Regime und die deutschen Besatzer) und später, konsequent wie wenige, engagiert im »Front de Libération Nationale« – FNL – der algerischen Unabhängigkeitsbewegung.
Das Team des Frankfurter Schauspiel Ensembles (FES) Michaela Conrad, Bettina Kaminski und Ives Pancera bewältigt – sehr überzeugend! – in der Inszenierung von Reinhard Hinzpeter die Erzählung vom Leben der engagierten Kommunistin und die Geschichte des sich neu gründenden und unabhängig werdenden Staates Algerien, mit wechselnden Stimmen und im Laufschritt, im Rhythmus gebundener reimloser Sprache des Epos. Immer in Bewegung, selten ausruhend, wird französisch-algerische und individuelle Lebensgeschichte dreistimmig lebendig; Weihnachtsfeiern; Kinder, Verrat und Rettungsgeschichte.
Wie wurden politische oder auch persönliche Meinungsverschiedenheiten bewältigt, wie die Abweichler dennoch – oder auch nicht? – mitgenommen im Fortschritt der Geschichte? Wer bestimmt die Richtung? Und wer kann – und darf – da eigentlich mitreden? Auch die Zweifel, Sorgen Verletzungen und Sehnsüchte Annettes werden nicht umgangen, gleich dreifach ist sie deshalb auf der Bühne lebendig. Befürchtungen und Einwände können gehört werden. (Das heutige Algerien steht nicht zur Debatte. Es lohnt sich aber, unabhängig davon, sich mit der weiteren Entwicklung der algerischen Republik seit der Unabhängigkeit zu beschäftigen!)
Eine körperliche »Performance« also, um dies Modewort zu gebrauchen, »Lesung« allein wäre zu statisch. Und »szenisch« ist die Lesung nicht, denn die Bilder entstehen im Kopf der Zuhörenden. Ein eindringlicher Soundtrack hilft dabei, wie auch der manchmal überraschende Wechsel der Standorte, der Haltungen, der mimischen Ausdrucksformen.
Vor kurzem erst, 2022, ist Anne Beaumanoir, die »Heldin« dieser Erzählung, mit 98 Jahren im bretonischen Quimper gestorben. Wie gut, dass Anne Weber sie noch kennenlernen durfte und ihre Geschichte aufgeschrieben hat. Um Geschichte und auch die aktuellen Auseinandersetzungen zu verstehen: Pflichtlektüre und Pflichtbesuche, nicht nur für Schulklassen!!

Katrin Swoboda
Termine: 1., 21., 22., 28., 29. April, 20 Uhr
www.freiesschauspiel.de

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