Vom Begehren, Hassen, Verdrängen, Schämen und Fürchten

Gedanken aus psychoanalytischer Sicht zu Sebastian Hartmanns Inszenierung der »Traumnovelle« nach Arthur Schnitzler

Was habe ich an diesem Abend im Schauspiel Frankfurt gesehen, was erlebt? Gesehen habe ich: ein Bühnenbild, in dem das Zentrum aus einem wellenförmigen Rund aus dunklem Sand besteht, der gelegentlich von einem aus dem Theaterhimmel herabschwebenden Vollmond erhellt wird und dessen durch die Bewegung der Menschen immer wieder zerstörte Struktur von einer gigantischen, in den Himmel ragenden Maschine in Form gebracht wird.
Gesehen habe ich Schauspieler, die anfangs wie atemlos Party feiern, indem sie die dunkle Mitte laufend umrunden, vermeiden, den Sand zu berühren, sich dann an der Bühnenrampe niederlassen und mit der Erzählung beginnen. Schon hier meine ich den zentralen Ansatz zu erkennen, nämlich eine Erzählung von Gegensätzen: Sprachlosigkeit versus Sprache, hell gegen dunkel, nicht nur optisch, auch emotional und mental, Klarheit gegen Verwirrung, bewusst gegen unbewusst.
Wir erinnern uns: Schnitzlers Zeit ist auch Freuds Zeit mit der Entdeckung der Bedeutung des Unbewussten, das vor allem in unseren Träumen Gestalt annimmt, jedoch rasch zerrinnt, wenn wir versuchen, diese im Nachhinein festzuhalten. Die Inszenierung vermittelt mir eben dieses Erleben: in dem Moment, in dem ich versuche, das Gesehene in eine lineare Erzählung zu fassen, setzt die Verwirrung ein, ich fühle mich wie in einem (Alb-)traum und kann mich nur noch dem Geschehen überlassen, mich fürchten, erschrecken, lachen und staunen.
Das Lachen beginnt mit dem Schauspieler Christoph Pütthoff, der buchstäblich »aus der Reihe fällt«, weil er zum wiederholten Male vom Bühnenrand kippt, sich wieder aufrappelt, entschuldigt, was seine Umgebung mit peinlich berührtem Lächeln, Übersehen, oder dem Versuch, ihn zu stützen, quittiert. Das Erschrecken folgt auf dem Fuße, sobald die Akteure das sandige Innere der Bühne (das »wahre« Leben?) betreten – und sogleich erschossen werden. Sinnlos oder doch nicht? Vielleicht geht es um die Schuld, die Fridolin und Albertine auf sich geladen haben, und um Scham. Bekanntlich möchte man manchmal »vor Scham im Erdboden versinken«, was hier durch die engelsgleich weiß gewandete, beharrlich aus der dunklen Substanz wieder auferstehende Albertine von Heidi Ecks demonstriert wird. Diesen inneren Kampf kennt wohl jeder, was jedoch nicht bedeutet, dass man gern daran erinnert wird. Insofern gelingt es der Inszenierung unmittelbar, eine Konfrontation mit dem eigenen Unbewussten anzustoßen, wenn man sich denn darauf einlassen mag. Dass dies auch Widerstände hervorrufen kann, ist offensichtlich. Ist es doch wesentlich angenehmer, sich im Komfort eines Theaterstücks einzurichten, das den Ansprüchen der »Vernunft« genügt und all das unsortierte bedrohlich Irrationale draußen vor der Tür lässt.

Vielleicht ist es das Verdienst dieser Inszenierung, das gerade nicht zu tun. Der Regisseur Sebastian Hartmann hat nach eigener Aussage den Anspruch, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen, und da mangelt es wahrlich nicht an Irrationalem, das uns fassungslos macht. Diese Fassungslosigkeit spiegelt sich in der Nicht-Linearität der Inszenierung, und die beständigen, ordnenden Bestandteile sind nicht die mit ihren Triebimpulsen kämpfenden Menschen, sondern der mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehrende Mond und die Maschine, die gleichförmig agierend den Sand immer wieder in Ordnung bringt. Deren Mechanik trägt jedoch nichts zur emotionalen Verarbeitung des inneren Chaos bei, weshalb sich dieses nicht wirklich lösen lässt, sondern im Wiederholungszwang verharrt.

Doch zurück zur Aufführung: eine weitere Peinlichkeit lässt Fridolin nicht los. Er hat auf eine Provokation durch Verbindungsstudenten nicht »männlich« reagiert, sondern wich einer Auseinandersetzung aus, was ihn nun quält; auch in der Begegnung mit der Prostituierten Mizzi vermeidet er, männlich zur Tat zu schreiten. Als er sich in den Maskenball mit der Parole »Dänemark« (die Versuchungssituation von Albertine am dänischen Strand lässt grüßen) einschleicht, – hinreißend erzählt von der atemlos der detail-überladenen Geschichte hinterher rennenden Annie Nowak – und durch seine Entlarvung in Lebensgefahr gerät, rettet ihn eine Frau, indem sie sich für ihn opfert.
Zwei kontrastierende Frauenbilder: die selbstlose Retterin versus Albertine, die in ihrem Traum die Hinrichtung Fridolins mitleidlos hinnimmt. Die weiteren Un-heimlichkeiten, die die Handlung der Novelle ausmachen, geraten dann etwas aus dem Blick, was auch dem im Revue-Stil vorgetragenen, aber irgendwie fremd wirkenden Lied »Leuchtreklame« geschuldet ist. So viel Aktualisierung wäre nicht nötig, denn dass der Mensch zu Schnitzlers und Freuds Zeiten sich zwar hinsichtlich des manifesten Trauminhalts (damals die verdrängte Sexualität, heute eher Identitäts- und Existenzängste) vom heutigen unterscheidet, nicht aber hinsichtlich der Psychodynamik von bewusst und unbewusst, dass wir heute ebenso begehren und hassen, verdrängen, uns schämen und fürchten, bleibt aktuell genug.
Bekanntlich kennt das Unbewusste keine Zeit, aber die Inszenierung hat dann doch ein Ende, die Realität holt uns wieder ein nach einer erlebnisreichen Reise in die Welt des (Alb-)traums, die in der Zuschauerin vielfältige Bilder und Assoziationen von Massakern und Horrorfilm ebenso wie poetische Eindrücke (das von Nowak wunderbar vorgetragene thailändische Lied) hinterlässt und reichlich Stoff zum Nachdenken mitgibt – was will man vom Theater mehr ?

Charlotte Rothenburg / Fotos: © Birgit Hupfeld
Termine: 1., 19., 20. April, 19.30 Uhr; 16. April 16 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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