Gallus Theater: Das Ensemble 9. November legt noch einmal »Szenen eines Kulturvolkes« auf – und dann nie wieder

Es wird denk-würdig in jedem Sinne: Vier letzte Chancen bietet das Ensemble 9. November (e9n), sein großes Gründungswerk im geschichtsträchtigen Gallus Theater zu erleben. Hier wurde die ausgebombte Rüstungsfabrik der Adlerwerke im letzten Kriegsjahr zum KZ Katzbach, auf der anderen Seite der Mainzer Landstraße fand 1965 im heutigen Bürgerhaus Gallus der Auschwitzprozess statt.
Die das Ensemble um Helen Körte und Wilfried Fiebig konstituierende Arbeit »Szenen eines Kulturvolkes« wurde als szenisches Oratorium anlässlich der 50. Gedenkfeier der Reichspogromnacht in Frankfurt uraufgeführt und in der Folge immer wieder in vielen Städten der Bundesrepublik gezeigt. Hauptgedanke des Stücks ist das Thema der Kultur und der Selektion in Auschwitz.
Arrangiert ist das nach Fanja Fénelons »Das Mädchenorchester von Auschwitz« konzipierte Stück auf zwei separierten schwarzen Podesten, auf denen sich zum einen das zehnköpfige Orchester (Leitung: Armin Rothermel) mit der Mezzosopranistin Monica Ries sowie zum anderen sieben Frauen der freien Theaterszene der Stadt in dunklen schlichten Kostümen befinden. Chorisch und in knappen, hart gesetzten Schritten im Kreis laufend schildern sie Szenen ihres KZ-Alltags, das tägliche Ritual des Ankleidens, die Rituale der Auslese, die Vergasungen, die Angst, der Geruch von Zyklon B, Vorlieben der Aufseher und vieles mehr, was so ergreifend wie irritierend mit der im Wechsel erklingenden Musik korrespondiert. Es ist die Musik von Puccini, Mendelssohn-Bartholdy, Strauß, die die Frauen, um zu überleben, im KZ spielen mussten. Die Täter, obwohl nicht sichtbar, sind ihre ständigen Begleiter. Mit jedem Atemzug, jedem Wort, jeder Geste der Frauen, sind sie ein Teil von ihnen.
Kein Geringerer als der Dichter Erich Fried empfand in seiner persönlichen Adresse an das e9n die in der Aufführung verhandelte Dramatisierung des ›Mädchenorchesters von Auschwitz‹ »nicht nur gut, sondern erschütternd«, und fügte dem an: »Ich bin nicht nur bereit, es zu empfehlen, sondern halte es für eine kulturelle, kulturgeschichtliche und geschichtliche Notwendigkeit.« 35 Jahre nach der Premiere und 85 Jahre nach der Reichspogromnacht besteht noch einmal die Möglichkeit, das Mädchenorchester hautnah in Frankfurt zu erleben.

gt/ks / Foto: © Lucia Maklis
Termine: 8., 9., 10., 11. September, jeweils um 20 Uhr
www.e9n.de
www.gallustheater.de

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