Guy Nattivs Film, »Golda« versucht diesem Geschehen zwischen Person und Politik gerecht zu werden, und das gelingt ihm in empathischer Sachlichkeit. Man hält sich an Tatsachen und zeigt, wie sie nach den Maßstäben des psychologischen Realismus auf die Personen einwirken, die zwischen Amt und Charakter auf sie reagieren müssen. So gibt es Portraits von Moshe Dayan (Rama Heuberger), Henry Kissinger (Liev Schreiber) oder Ariel Sharon (Ohad Knoller), wie sie sich aus journalistisch-historischem Wissen aber ohne Klischee und Karikatur ergeben, vor allem aber ist es Helen Mirrens Studie einer starken, (fast) einsamen Frau, die den Film über das Format des Doku-Dramas hinaus hebt. Aber solch eine Gerechtigkeit hat auch ihren Preis. Das »Kinematographische«, die Spannungen, die Emotionen, die Visionen, die dem Geschehen im Inneren entnommen wurden, werden sozusagen äußerlich wieder hinzugefügt. Dass man beim Schreiben vielleicht etwas zu sehr durch historische Fakten eingeengt war, versucht die Regie durch einen gewissen Über-Eifer wettzumachen. Raum und Licht sind fast überdeutlich auf Beklemmung und Konfrontation gerichtet, extreme Nahaufnahmen und stilisierte Kamera-Einstellungen, eine düstere Farbpalette, streng komponierte Interieurs, auf die wir immer wieder aus der Vogelperspektive blicken, symbolträchtige Zwischenschnitte: Ein »over-directing«, das man schon bei Guy Nattivs letztem Film, der Nazi-Aussteiger-Geschichte »Skin« kritisieren konnte. Es ist das redliche Bemühen, das Publikum bei einem wichtigen Thema mit ästhetischer Überdeutlichkeit bei der Sache zu halten. Das kann man bewundern, man kann es aber auch als cineastische Kraftmeierei abtun.
Und Golda Meir in diesem Film hat Verantwortung, erlebt Konflikte, muss kämpfen und entscheiden, leidet unter Krankheit und Strapazen. Aber sie hat eigentlich kein Innenleben. Man mag das als Form von Respekt akzeptieren, auch als wohltuende Abwendung vom Melodramatischen oder Spekulativen. Aber es ist am Ende eben auch nicht viel davon übrig, was Film sein kann. Etwas unsichtbares sichtbar machen.
Was bleibt ist eine mehr oder weniger dokumentarische (einschließlich der Verwendung von historischem Material), mehr oder weniger personale Darstellung des Jom-Kippur-Krieges aus der Sicht der Politik. Für ein sehr junges oder weniger historisch informiertes Publikum empfiehlt es sich allerdings, ein wenig Voraus-Wissen anzulegen. Für eine derzeit weiß der Himmel aktuelle Beschäftigung mit der Geschichte des Nahen Ostens jedenfalls kommt »Golda« durchaus zur rechten Zeit. Was man dem Film hoch anrechnen darf, das ist, dass er weder Propaganda noch Pseudo-Objektivität vertritt. Seine Haltung schließt Kritik nicht aus. Und er lässt die Fragen zu: Könnten Kriege verhindert werden? Kann man sie begrenzen? Was bedeutet De-Eskalation im Angesicht der Vernichtungsdrohung? Und wie steht es mit dem Verhältnis von Politik, Militär und Geheimdienst?
Man versteht also vielleicht, dass dieser Film in allem, was er zeigt und sagt, eher vorsichtig ist. So als fürchte er sich vor schnellen Urteilen, Schon in seiner dramatischen Struktur, Rückblick und Rechtfertigung, beschreibt der Film eine Suche nach Wahrheit, nach richtig oder falsch, die nie vollständig gelingen kann, Golda Meir war gerade in Europa eine emblematische Figur, vielleicht mehr als im eigenen Land, und auch immer etwas entrückter als Moshe Dayan, der es zu einem veritablen Pop-Status brachte: Der Kriegsheld, mit dem man für einmal auf der richtigen Seite stand. (In diesem Film darf er Schwäche zeigen.) Die Denkmäler werden hier weder aufgeputzt noch gar geschändet. Geschichte wird von Menschen gemacht, und Geschichte macht Menschen, und manchmal machen Menschen zu viel Geschichte, und manchmal macht die Geschichte zu viel mit Menschen.
Der Film kann wohl gar nicht anders als an der Oberfläche all dieser Widersprüche zu bleiben, was formal auch bedeutet, man bleibt in den Konventionen einer Geschichtsstunde mit »Entscheidungen im Büro«-Drama (einschließlich exzessiver Nikotin-Verneblung). Das äußere Geschehen ist nur durch Fernsehbilder, durch Alarmsirenen, durch Funkübertragungen von der Front und durch knappe Einspielungen von Dokumentarmaterial präsent. Das ist Schrecken genug. Selbst Dayans Flug an die Front des Golan im Hubschrauber enthält mehr Klaustrophobie als Aktion, mehr Entsetzen als Heroismus. »Golda« ist ein Film über den Krieg, aber es ist kein Kriegsfilm. Und viel mehr als um die Freude am Sieg geht es um die Trauer um die Verluste. Eine ziemlich wichtige Botschaft, derzeit.
Wo kann man den Film denn hier im Rhein-Main und Main-Kinzig-Kreis denn sehen?
Mit großer Sicherheit, ist Golda ein absoluter Ausnahmefilm, weil Golda Meir eine absolute Ausnahmefrau war. Ihr Wirken und die große Verehrung für sie, sind heute noch vorhanden. Und der Film Golda könnte, gerade in der aktuellen Situation in der sich Israel befindet, passender nicht sein.
Golda läuft in der Astor Film Lounge MyZeil, im Cinema und in Bad Soden im Casablanca.
Danke für eure Nachricht : )
am Sonntag bin ich extra nach Gießen gefahren und hab mir Golda dort angeschaut.
Der Film ist äußerst sehenswert – Hellen Mirren als Golda Meir ist einfach herausragend! Sie spielt so gut, als wäre sie Golda persönlich – der Film ist nichts für schwache Nerven, da das Thema Krieg und die existentielle Bedrohung Israels durch Ägypten hautnah spürbar ist – ich hatte das Gefühl, als wäre ich mitten im Geschehen dabei – deshalb ein dickes Lob auch an den Regisseur Guy Nattiv, der die existentielle Bedrohung Israels und Goldas Umgang damit, so eindrucksvoll als Film umgesetzt hat – der Film wird mich noch lange beschäftigen – Golda ist aktueller den je, durch die erneute Bedrohung des Staates Israel in seiner Existenz durch den Terror der Hamas mit dem Massaker an Israel am 7. Oktober 2023 – dieser Terror ist für mich dafür verantwortlich, das Israel dazu gezwungen wurde einen Verteidigungskrieg zu führen, den Israel hoffentlich bald gewinnen wird und die Geiseln frei kommen werden. Für mich ist die Lehre aus dem Film – kein Terror und kein anderer Staat soll Israel jemals wieder bedrohen und ihr das Exixtenzrecht absprechen, damit Israel nie wieder Krieg dafür führen muss.