»There is no there there« – migrantische Kunst im Museum für Moderne Kunst

Zwischen den 1960er und 1990er Jahren lebten und arbeiteten n der BRD und in der DDR zahlreiche ausländische Künstler*innen. Die Gründe sind vielfältig, der angenehmste war ein Stipendium. Doch die meisten erlitten politische Verfolgung oder große wirtschaftliche Not. Einige von ihnen sind geblieben, andere konnten in ihre Heimatländer zurückkehren, manche pendeln zwischen den beiden Welten. Doch egal wohin sie ihr Weg geführt hat, der künstlerische Reichtum, den sie erschaffen haben, fand in der »offiziellen« Kunstgeschichte kaum Eingang. Das MMK hat jetzt eine intensive Ausstellung aus ihren Kunstwerken komponiert, ohne einen ordnenden Überblick geben zu wollen – jede hier erzählte Künstlerbiografie ist ein Ereignis und steht für sich. Übereinkunft herrscht nur hierin: Sie selbst standen am Rand der Gesellschaft, in der sie ursprünglich lebten.
Aber wo befindet sich ihr biografischer Mittelpunkt heute und jetzt? »There is no there there« – das Motto der Ausstellung stammt von Gertrude Stein und umschreibt die Veränderungen, denen Begriffe wie Heimat, Exilheimat und Rückkehr immer unterworfen sind.
Das gesamte labyrinthische Haus wird hier bespielt, in jeder Nische ist etwas zu entdecken, und das passt einfach ganz wunderbar zu diesem Motto. Gleich die erste raumfüllende Installation von Vlassis Caniaris (1928–2011) verrät viel bittere Ironie. Mit zumeist kopflosen Puppen aus Drahtgeflecht, denen der Künstler abgetragene schäbige Kleidung übergezogen hat, stellt er typische Migrationsszenen nach. Das 1974 entstandene »Hopscotch« zeigt das Himmel-und-Hölle-Hüpfspiel, doch anstatt von Zahlen finden sich hier Stationen der Arbeitsmigration auf das Pflaster gemalt, der »Himmel« ist in diesem Fall das Fließband. Puppen umstehen das Spielfeld, gerahmt von Koffern.
Der Begriff »Paradies« kommt oft vor in den Umschreibungen des neuen Bleibe-Ortes, und die ersten Vertriebenen überhaupt sind nach Ansicht der türkischen Malerin Serpil Yeter (*1956) Adam und Eva. Ihr »Es ist doch immer das Gleiche« ist ganz für sich an eine pastellfarben gestrichene Wand gehängt und zeigt eine Mutter mit weit aufgerissenen Augen, hinter der sich ihre beiden Kinder drängen. Als Schemen im Dunkeln sind Militärpolizisten zu sehen. Eine alptraumhafte, expressionistisch gelöste Szene, die ein Angsterlebnis schildert, das wohl viele der hier Ausgestellten erdulden mussten.
Das Paradies, das waren für Želimir Žilnik (*1942) die Oberhausener Filmtage. Und als er Alexander Kluge von seinem Vorhaben erzählte, er wolle einen Film über Gastarbeiter drehen, ermutigte er ihn nachdrücklich. Sein 1975 gedrehter Schwarzweißfilm »Hausordnung«, den er hier zeigt, thematisiert die problematischen Wohnverhältnisse von Arbeitsmigranten und das schwierige Verhältnis zu den Deutschen. Im damaligen Jugoslawien, seiner Heimat, wurden seine sozialkritischen Filme zunächst angefeindet, vom Beginn der 1970er Jahre sogar verboten. 1973 ging er ins Exil in die BRD, 1977 wurde seine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert, er musste zurückkehren.
Nach Frankeich flüchten konnte sich der Chilene César Olhagaray (*1951), der das größte Werk besteuert – über fast die gesamte Wand erstreckt sich eine bunt-fröhliche Komposition, in der man lesen, in der man Zeichen und Piktogramme entdecken kann – doch der wichtigste Bildinhalt sei die Fröhlichkeit und die Lebenslust, sagt er, der unter Pinochet im berüchtigten Nationalstadion gefangen gehalten und später inhaftiert worden war. »Breughel, Maya Codex, Modigliani, Chagall – alle in einen Mixer – das ist meine Kunst.« Mittlerweile auch in seiner Heimat ein anerkannter Künstler, pendelt er zwischen Dresden, für dessen freundliche Aufnahme er immer noch Dankbarkeit empfindet, und Santiago.
Aus Angola kommt Manuela Sambo (*1964), deren eindrucksvollen Masken ein großer Raum gewidmet ist. Sie verließ ein Land in Aufruhr, erzählt sie, und die Rückbesinnung auf ihre kulturellen Wurzeln ermöglichten es ihr, in einem fremden Land zu leben, sie bildete ihr Energie-Reservoir und ihren emotionalen Anker. Die Masken greifen auf kulturelle Riten ihrer Heimat zurück. Es sind Kunstobjekte, sie wurden nicht getragen – und es war Männern vorbehalten, sie zu fertigen. Insofern ist ihre Arbeit auch als feministischer Aufruhr zu verstehen.
In Frankfurt ist Drago Trumbetaš (1938–2018) wahrlich kein Unbekannter, seine Werkzyklen wurden schon öfter ausgestellt, wobei die Mappe »Gastarbeiter« von 1975 mit 20 Grafiken zu seinen berühmtesten zählt. Der in Zagreb geborene Trumbetaš beschäftigte sich vor allem mit der Lebenswirklichkeit der frühen Arbeitsmigranten und ihrer oft mühseligen Existenz. Ebenfalls hier zu sehen: eine Nachstellung seines Zimmers, eines typischen »Gastarbeiter«-Zimmers.
Vielleicht am entrücktesten und poetischsten wirken die Gemälde des Kurden RizaTopal (*1934), denn in ihnen wird eine ungebrochene Nähe zu der Schönheit seiner Heimat auf eine altertümlich wirkende Form der Darstellung beschworen. Wie Bildteppiche wirken sie, durch die Farbwahl fast ein wenig verblichen. Der Künstler lädt seine Gemälde mit einer historischen Wahrheit auf, die ihn wieder zurück in seine Heimat bringt. Seit 1975 hat er sie nie wieder betreten.
Das Museum für Moderne Kunst ist so zu einem Sammelbecken für all diese Geschichten, all diese Kunst geworden. »There is no there there« ist die Ausstellung der Stunde.

Susanne Asal / Foto: Vlassis Caniaris: »Hopscotch«
Bis zum 29.September: Di., Do.–So., 11–18 Uhr; Mi., 11–20 Uhr
www.mmk.art

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert