Wer immer an der Konzeption und Ermöglichung dieses Bandes beteiligt war, hat alles richtig gemacht. Großes Kompliment. Im Impressum lese ich eine alarmierende Zahl: »Privatdruck der Universität Erfurt in Kooperation mit der DEFA-Stiftung Berlin in 600 Exemplaren. Vertrieb: Bertz + Fischer Verlag Berlin.«
Ein Filmbuch wie dies, Format 27,5 × 25 cm, Hardcover, durchgängig farbig, 184 Seiten, für 29 Euro im Verkauf, geht also mit 600 Exemplaren an den Start, dies in einem Land mit 83,02 Millionen Einwohnern und 118,6 Millionen Kinogängern im Vor-Corona-Jahr 2019. Die im gleichen Verlag erschienene mustergültige erste deutsche Monographie des Regisseurs Anthony Mann von Ines Bayer hatte eine Startauflage von 400. So hoch und weit ist der Horizont der Cineasten also hierzulande noch gespannt. Wahrlich keine Massenbewegung. Das vorab.
Vergänglich, sogar extrem vergänglich war das Medium, dem der Forscher Patrick Rössler im völlig zu Recht so betitelten Band »Großes Kino« seine Aufmerksamkeit widmet: nämlich den monumentalen DDR-Filmplakaten der 1960er-Jahre, mit denen der Progress Filmverleih, der einzige Filmverleih der DDR, für besonders massentaugliche Filme warb.
Diese besondere Öffentlichkeitsform im Format Dreifach A0, vom Verleih »Großfläche« genannt, entfaltete mit ihren gut meterhohen und annähernd zweieinhalb Meter breiten Panoramen eine besondere visuelle Kraft. In der heutigen Filmliteratur und in den Archiven blieb sie weithin unbekannt und unbeachtet, weil sie enorm vergänglich war. »Von den aufwändigen, überformatigen Drucken auf stärkerem Papier wurde in der stets auf einen effektiven Rohstoffeinsatz ausgerichteten DDR-Planwirtschaft nur eine geringe Anzahl hergestellt – und diese primär durch Klebung verarbeitet (drei zusammengesetzte A0-Plakatteile), so dass sie nach Verwendung verloren waren und überkleistert wurden«, schreibt Rössler.
Der Bildband versammelt insgesamt 162 Plakatbeispiele, alle zwischen 1959 und 1966 entstanden. Der Schwerpunkt liegt auf dem besonders gut dokumentierten Jahr 1963, aus dem sich 73 Plakate wiederfinden – und aufschlussreiche Vergleiche erlauben. Die im Buch zusammengetragene und filmwissenschaftlich erschlossene Auswahl dokumentiert die Sammlung der Universitätsbibliothek Erfurt, wo sich in den Beständen der Interdisziplinären Forschungsstelle für historische Medien (IFhM) ein Konvolut von über 100 unbenutzten Großflächenplakaten erhalten hat. Für die Publikation wurden sie um rund 30 weitere Plakate aus einer Privatsammlung ergänzt.
Jeder im Buch vorgestellte Film ist mit seinem Breitwand-Werbemotiv präsentiert, dazu kommen die wichtigsten filmografischen Angaben, ein (kleineres) hochformatiges »Normal«-Plakat oder Szenenfoto sowie ein kommentierender Kurzinhalt aus der Online-Datenbank »Lexikon des Internationalen Films«, die seit Jahrzehnten von der Katholischen Filmkommission für Deutschland und dem Internetangebot »filmdienst« (früher eine gedruckte Filmzeitschrift) gepflegt wird. Gerade in Zusammenhang mit manchem »Ostblock«-Film erzeugt die meist im Kern westdeutsche Inhaltswertung oft eine hübsche Reibung. An geeigneter Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich um zeitgenössische Einschätzungen handle und das bei einer Betrachtung aus heutiger Perspektive zu berücksichtigen sei.
Und immer findet sich der Name des Breitwand-Künstlers. Ein Verzeichnis am Buchende nennt an die 50 Namen, besonders oft genannt werden Kurt Geffers, Jürgen Großmann, Ernst Lauenroth, Helmut Merten und Klaus Poche. Es fällt auf, wie zu Beginn der Plakat-Ära noch viele Filmfotos auf dem Plakaten zu finden sind, wie dann allmählich mit Typografie und Proportionen gespielt sind, ehe sich die Breitwand immer mehr entfaltet. Großes Kino, eben – und das aus der DDR.