»Healing« im Museum für Weltkulturen bis zum 3. September 2023

Es ist durchaus ein Dilemma, in dem sich die Museen für Weltkulturen befinden: wie können sie von einer »anderen« Weltkultur künden, wenn SIE den Blick lenken, durch die Auswahl der ausgestellten Objekte beispielsweise? Und auch wenn man nicht in den Kategorien des puren, reinen »Globalen Südens« und des herrschaftssüchtigen »Globalen Nordens« denken sollte, so steckt doch mehr als nur ein Körnchen Wahrheit darin, nämlich das: Wer hat die Hoheit über die Geschichte? Und letztendlich auch den Blick?
In ihrer aktuellen Ausstellung »Healing«, umschiffen die Kuratorinnen des Museums für Weltkulturen, Mona Suhrbier und Alice Pawlik, diese Klippe: der kurative Aspekt des Heilens ist darin nahezu verbannt, der philosophischere, spirituellere Bezug nimmt die ganze Bühne ein. In den indigenen Gemeinschaften hat »Healing« genau diesen Klang: einen transzendentalen nämlich, der auch Versöhnung und Wiederherstellen einschließt und ebenso gleichberechtigt das Übersinnliche und den Schamanismus umfasst. In den Verfassungen Ecuadors und Boliviens, beides Staaten mit hohem indigenen Bevölkerungsanteil, ist das »Buen vivir« als Grundsatz verankert, was nicht bedeutet: Reichtum für alle, sondern »Leben im Einklang mit der Natur« (etwas frei übersetzt).
Schmerz, der geheilt werden sollte, entstand aber auch durch koloniale (und neokoloniale) Strukturen und durch die Entwendung von bedeutsamen Ritualgegenständen: man wird der eigenen Geschichte gewaltsam beraubt.
Dreizehn Künstler*innen hauptsächlich aus dem lateinamerikanischen Raum wurden nun eingeladen, sich mit dem Begriff des »Healing« auseinanderzusetzen. Einige der Räume sind von ihnen selbst kuratiert und mit Exponaten des Museums ausgestaltet, andere Räume wiederum eigens für diese Ausstellung komponiert wie der des Mexikaners Alejandro Durán, der etwa 60 Kilogramm blauen Plastikmüll aus dem Maya-Naturschutzgebiet Sian Ka‘an an der Karibikküste südlich von Tulum dem Museum mitgebracht und als Stillleben auf den Boden drapiert hat – darunter eine Plastikwasserflasche aus Bad Homburg.
Die Kuratorinnen und die Museumsleiterin Eva Raabe haben den Blick also ein wenig abgegeben und sprechen voller Berechtigung von einem assoziativen Ansatz ihrer Ausstellung. Wobei: die Bewahrung der Natur erheischt in diesem Zusammenhang die größte Aufmerksamkeit. Das ist ja klar: Die Zerbrechlichkeit der Welt fordert geradezu heraus, »Healing« auch im Kontext der Umweltzerstörung und der Klimakatastrophen zu betrachten. Wenn die Welt aus dem Gleichgewicht gerät, werden auch die Menschen krank – ein Konzept, das der ganzheitlichen Kosmovision zugrunde liegt wie Harry Pinedo von den Shipibo aus dem peruanischen Amazonasgebiet erläutert. Der indigenen Kosmovision einverleibt ist auch der Schamanismus, dem ein breiterer Raum vorbehalten ist – zu den Exponaten gesellt sich der Film Inti Wasi (Haus der Sonne), der sich mit indigener Medizin und Spiritualität im Hochland von Ecuador beschäftigt.
Im guten Sinn dekorativ und sehr eindrücklich sind die Videos der Brasilianerin Roberta Cavalho, die grüne Schattengemälde des Regenwaldes mit Porträts von Indigenen überblendet – und es stimmt ja auch: Der Regenwald ist dort intakt, wo Indigene ihn bewohnen, nutzen und pflegen. Marina Abramovic hat sich ebenfalls nach Brasilien aufgemacht und hat von dort Holzstelen mitgebracht, in die große Quarze eingelassen sind. Wer sich auf die Plattformen stellt, soll die energetische Wirkung des Quarzes erleben können.
Wenn einem da das Schlagwort von der kulturellen Aneignung einfällt, kann im nächsten Raum eine ganz besondere Art der Heilung erleben: die Repatriierung eines historischen Lederhemdes, das sich im Besitz von Chief Daniel Hollow Horn Bear in Rosebud, Dakota befand und durch einen Tausch mit dem American Museum of Natural History ins heutige Museum der Weltkulturen Frankfurt gelangte. Es wurde im vergangenen Jahr seinem rechtlichen Nachfolger zurückgegeben.
Eine Vielfalt von Themen ist hier stichwortartig zusammengetragen worden, Anlass zum Innehalten, Nachspüren und Nachdenken sind sie unbedingt. Wer sich nicht darauf einlässt, hat nur die Hälfte gesehen!

Susanne Asal

Bild: Feliciano Lana: Die Grossmutter der Welt in ihren Visionen.
Aus der Diareihe »Der Anfang vor dem Anfang«, 1977
© Wolfgang Guenzel

Bis 3.September 2023: Mi., 11–20 Uhr; Do.–So., 11–18 Uhr
Lesungen, Begleitprogramme, Kinderprogramme: www.weltkulturenmuseum.de

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