Horrorfilme haben Hochkonjunktur. Dies widerlegt die These, dass schlechte Zeiten optimistische Filme hervorbringen. Denn Gruseln ist derzeit nicht nur bei den Nachrichten, sondern auch im Kino angesagt. Wenn ein Film dann noch die genreübliche Spannung mit einer vergnüglichen philosophisch-theologischen Abhandlung verbindet, ist ein genauerer Blick darauf durchaus angebracht.
Wie bei allen guten Horrorfilmen findet das Kinopublikum auch in »Heretic« eine Parallelwelt vor, die mit unserer alltäglichen Welt nur die Glaubwürdigkeit der handelnden Personen gemein hat. Zwei junge Missionarinnen sind zwar hierzulande ungewöhnlich, aber in den USA durchaus denkbar, und an einem sonderbaren, älteren Herrn in einem etwas abgelegenen Haus ist ebenfalls nichts Unrealistisches.
Allerdings wird sich der charmante Hausherr zu einem furchterregenden Monstrum und das Haus in ein ›haunted house‹ der besonderen Art verwandeln. Doch davon ahnen Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) nichts, als sie vor der Tür von Mr. Reed (Hugh Grant) stehen, der als letzter Fall auf ihrer täglichen Missionsliste steht.
Erfreut bemerken die beiden Abgesandten der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die allgemein Mormonen genannt werden, dass der sympathische Mann, der ihnen öffnet, nicht nur ein offenes Ohr für ihre christliche Botschaft, sondern auch Zeit zu einem eingehenden Gespräch über Glaubensfragen hat. Er bittet sie, in das Haus einzutreten, in dem sich auch seine Frau befände, sagt er. Denn er weiß von den Verhaltensregeln, die für die Missionarinnen gelten: Geh niemals in ein Haus mit einem Mann allein!
Mr. Reed scheint nur auf seine Besucherinnen gewartet zu haben, um eine ausführliche Erörterung der Frage nach der wahren Religion zu beginnen. Als die beiden Missionarinnen feststellen, dass die Haustür verschlossen ist, und sie erfahren, dass sie durch einen Spezialmechanismus bis zum Morgengrauen verschlossen bleibt, wird der Weg nach draußen zu einer Glaubensfrage. Die Wahl der richtigen Tür zum Hinterausgang macht der Religionsexperte zum Glaubenstest seiner Besucherinnen, die mit aufrichtigem Gottvertrauen schon die richtige wählen werden.
So entpuppt sich Mr. Reed als ein Ketzer, der die historische Abfolge der monotheistischen Religionen für eine fortwährende Wiederholung hält – wie die Remakes eines Popsongs oder die Variationen des Spiels Monopoly. Da scheint das Todesurteil schon gesprochen zu sein, und aus der Frage, ob es vollzogen wird, bezieht der Film seine Spannung.
Während Mr. Reed sich als ausgewiesener Kenner der Religionsgeschichte zeigt, erweisen sich die seit ihrer Kindheit befreundeten Drehbuchautoren und Regisseure Scott Beck und Brian Woods als Experten der Horrorfilmhistorie. Im Gegensatz zur Mode der periodisch auftretenden Schockmomente in den aktuellen Exemplaren der Gattung lebt ihr »Heretic« wie ein klassischer Horrorfilm von der Atmosphäre in dem sorgfältig ausgestatteten Schreckenshaus (Szenenbild: Philip Messina), vom Charme des Hugh Grant als eigenartiger Engländer (eine nicht gerade selten auftretende Figur im amerikanischen Film), der bedrohlichen Kamera von Chung-hoon Chung und der schaurig hallenden Musik (Score: Chris Bacon). Die Frage nach dem Sinn, den wir unserem Leben geben, kommt als Bonus obendrauf.