Hessisches Staatsballett im Staatstheater Wiesbaden

Dank der Arbeit mit innovativen Tanzschöpfern aus aller Welt hält das Hessische Staatsballett die Spannung durchweg auf hohem Niveau. Seit der frühere Chef Tim Plegge das Ensemble 2022 verließ, werden allerdings keine großen, abendfüllenden Geschichten mehr erzählt. Handlungsballette sucht der Liebhaber im Programm, das der Belgier Bruno Heynderickx als Nachfolger auf der Position des Direktors und Künstlerischen Leiters zusammenstellt, vergebens. In dem neuen Abend »Chronicles« wäre aber sowieso kein Platz dafür gewesen. Für die Gala, mit der der zehnte Geburtstag der Compagnie nachgefeiert wird, die 2014 kostenbedingt durch eine Fusion der beiden Sparten in Wiesbaden und Darmstadt entstand, durften die einzelnen Stücke nicht länger als 20 Minuten sein. Sechs Werke passen so in zweieinhalb Stunden, zwei Pausen mit eingerechnet.
Den Auftakt bildet »Fauno«, eine weitere Version der schon oft interpretierten sinfonischen Dichtung »L’Après-midi d’un faune« von Claude Debussy. Liliana Barros hat die Titelrolle an Ramon John vergeben, was nicht nur deshalb passt, weil der gebürtige Fuldaer einer der herausragenden Bewegungskünstler der Truppe ist. Mit seinen langen Gliedern verleiht der Faust-Preisträger dem vogelartigen Wesen etwa Staksiges, ruckt und zuckt nervös und unsicher. Dazu trägt er überraschend Turnschuhe und ein Glitzeroutfit, das in seiner Lässigkeit an Ballspiele erinnert. Ein Trio kommt hinzu, hebt und schiebt ihn, als würde es das Fremde untersuchen, bevor es, zusammengekauert und verschreckt, wieder sich selbst überlassen wird.
Es folgt ein Ausschnitt aus dem düsteren »Force Majeure«, das das kanadische Künstlerpaar Tiffany Tregarthen und David Raymond vor zwei Jahren mit der Truppe einübte. Wie bei einem lebendig werdenden Gemälde umringen die Tänzer*innen hier einen Tisch, auf dem ein weißes Bäumchen liegt, und rollen es, wie bei einem Ritual, hin und her.
Bei »Bouffées« von Leila Ka aus Frankreich darf das von Albert Horne sensibel geleitete vereinigte Staatsorchester pausieren, denn hier bestimmt allein die Atmung der fünf Frauen, die in leichten Blumenkleidern nebeneinanderstehen, den Rhythmus. Aus minimalen Handbewegungen entwickeln sich größere Gesten, etwas Tänzerisches mit wenigen Mitteln entsteht.
Ein Kontrastprogramm in sich hat die Niederländerin Anouk van Dijk mit »Holiday Space« geschaffen. Zwei sehr unterschiedliche Violinstücke, ein eher hartes von David Lang, ein fließenderes von Steve Reich, begleitet eine Tänzerin und einen Tänzer bei ihren entsprechenden Bewegungsfolgen. Aus Eckigem wird Weiches. Durch Rüschen auf den Oberteilen haftet auch den Bildern etwas Barockes an.
»Moonfall« von Dunja Jocic lässt die Tänzer*innen in weißen Anzügen mit schwarzen Riemen, die Augen teilweise kriegsbemalt, abwechslungsreich und wie aus einer anderen Zeit zwischen Machtkampf und Beziehungen schwanken.
»The Mass Ornament« von Fran Diaz bildet den dynamischen Abschluss, bei dem die Gruppe in einer langen Reihe mit olivgrünen Hemden und Hosen mal militärisch, mal maschinell, aber stets rasant und rebellisch daherkommt. Ein mitreißendes Finale, nach dem die vielseitige Reise durch Vergangenheit und Gegenwart des Tanzens vom Premierenpublikum zu Recht begeistert gefeiert wird.

Katja Sturm / Foto: Chronicles Moonfall, © Andreas Etter
Termine: 1., 6., 8., 14. März, 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de
www.staatsballett.de

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