HSB tanzt Doppelabend »Broken Bob« an den Staatstheatern Darmstadt und Wiesbaden

Der Einzelne und die Gesellschaft: es ist eines der ewigen Motive des Tanzes, mit dem sich das niederländische Geschwisterpaar Imre und Marne van Opstal in »I am Bob« beschäftigt, der ersten vom zwei Uraufführungen des Doppelabends »Broken Bob« mit dem Hessischen Staatsballett (HSB). Bob, das ist der Durchschnittsmensch, das sind, so zumindest tun es die Choreografen im Programmheft kund, wir alle, getrieben von gesellschaftlichen Rollenerwartungen, in einem Widerstreit mit individuellen Autonomiebestrebungen, Anpassung und Abweichung also.
Man sieht sich erinnert an ein Musikstück von Philip Glass, ausgedehnt auf den Tanz. Durch eine Tür paradiert zu Beginn das 16-köpfige Ensemble Tänzerin um Tänzer herein in einen im Halblicht grau erscheinenden monumentalen Winkelraum mit überdimensionalen, zum Sitzen taugenden Stufen, den die van Opstals selbst gemeinsam mit ihrem Lichtdesigner Tom Visser entworfen haben. Frauen wie Männer tragen entmenschlichend uniforme, mehlfleckig gemusterte schwarze Anzüge samt Hauben, die gleichfalls auf die Geschwister zurückgehen. Roboterhaft eckig und abgehackt sind die Bewegungen, in einem Gleichschritt unter dem metronomhaften und harsch hämmernden, mit ambient-flächigen Sounds unterlegten Takt der Musik des israelischen Komponisten (und Choreografen) Amos Ben-Tal. Die Wiederholungen dieses tänzerischen Minimalismus (analog zum musikalischen Minimalismus von Glass & Co.) schleichen sich mit der Zeit Abweichungen ein. Der ewige Zug der Entindividualisierten kehrt in seiner Richtung um, es kommt zu kurzen Momenten einer angedeuteten Paarzugewandtheit, Drehungen und sofort, nun unter einem Technobeat, mit dem chorisch skandierten Stücktitel als Refrain. Formstreng ist das gearbeitet, zugleich schwingt ein grotesk pointierter Witz mit.
Aus dem Gleichtakt des Kollektivs löst sich ein Pas de deux heraus, unter den Augen der dichtgedrängt auf der Treppe sitzenden und gemeinschaftlich Stück um Stück seitwärts ruckenden Gruppe. Hier bedienen sich Imre und Marne van Opstal aus dem Fundus der klassischen Tanzmoderne. Die tanzsprachlichen Mittel an dieser Stelle kann man durchaus konventionell heißen, doch das ändert nichts an der explizit zeitgenössischen Position des Ganzen. Die moderne Tradition wird als Mittel hergenommen.
Choreografisch gesehen ohne Frage von sicherer Hand geleitet und doch weniger auf der Höhe bewegt sich das gleich dem ersten Stück gut halbstündige »Broken Sense of Beauty« von der Chinesin Xie Xin. Der autobiografische motivische Hintergrund: ein Feuer hat das Studio von Xies Kompanie in Shanghai vernichtet.
Brandspuren in einer stilisierten Art deutet der Raum von Hu Yanjun an, mit drei Vorhängen für ein abgestuftes Maß der Verheerung. Eine Langsamkeit herrscht vor, fließend sind die Bewegungen der drei Frauen und drei Männer in den wallenden beigen Gewändern von Li Kun. Eine psychische Binnensicht mit surrealen Zügen ist Programm. Postrockend mäandern die Gitarren in der Musik von Sylvian Wang; später folgen elegische »neoklassische« Klavier/Elektronik-Klänge. Alles ist eingeschlossen in eine ausnehmende Schönheit des Traurigen; schließlich schneit es irgendwann Aschefitzel. An einem Punkt legen die Tänzer*innen ihre Gewänder ab, hautfarbene Bodies kommen hervor.
Die Harmonie des Tanzes markiert bei Xie Xin einen Gegenentwurf zum Schrecken. Das kann man so machen, manch einer wird sich davon bezaubern lassen – der tanzästhetische Mehrwert indes ist gering anzusetzen.
Befremdlich merkwürdig im Übrigen der Abendtitel »Broken Bob«. Krampfhaft pointiert klatscht er zusammen, was ganz und gar nichts miteinander zu tun hat, weder inhaltlich noch in seinen unterschiedlichen Ästhetiken. Wie es ja auch alteingeführt und richtig ist für gemischte Ballettabende. Bloß weshalb dann via Titel einen Zusammenhang vorgaukeln.

Stefan Michalzik / Foto: © Andreas Etter
Termine Darmstadt: 22. Dezember, 18 Uhr
Termine Wiesbaden: 29. November, 7., 15., 18., 20., 27., 29. Dezember, 19.30 Uhr
www.hessisches-staatsballett.de

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