Staatstheater Wiesbaden: Thomas Bernhards »Alte Meister« im Landesmuseum

Die Stadt einzubeziehen, ist ein erklärtes Anliegen der neuen Intendanz des Staatstheaters Wiesbaden. Nach dem spektakulären Spielzeitstart mit Doris Uhlichs »Habitat«-Nackten im nahen Kurpark ist das Hessische Landesmuseum das zweite Ziel der angesagten Theaterexkursionen. Kein aufregendes gewiss, Museen werden immer wieder von Theatern bespielt, aber in mehrfacher Hinsicht passend zum gewählten Sujet: »Alte Meister« von Thomas Bernhard. Der hat sein 1985 erschienenes letztes Prosawerk als Komödie bezeichnet und als »Kunstvernichtungskunst« apostrophiert. Und im Museum spielt es auch.
Ausgangspunkt des Romans ist eine Verabredung des Kunstkritikers Reger mit dem Privatgelehrten Atzbacher im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums Wien. Dort, wo er sich seit 35 Jahren alle zwei Tage vormittags in das »Bildnis des weißbärtigen Mannes« von Tintoretto versenkt, will Reger dem befreundeten Atzbacher an einem Tag treffen, an dem er sonst nicht im Museum wäre. Wohin das führt, das zeigt die Regisseurin Amalia Starikow nun in einer eigenen Fassung.
Von Michael Birnbaum großartig verkörpert – und vom Saaldiener Irrsigler (Franz Kemter) wortkarg begleitet – macht sich Atzbacher rätselnd auf den Weg und konfrontiert uns dabei mit Regers Sicht der Welt, der Gesellschaft und insbesondere der Hochkultur. Eine mehr als nur grantelnde Sicht, vor der weder Alte Meister noch Große Geister bestehen und schon gar nicht alles Zeitgenössische. Die kauzig-kantig servierte Suada des Missvergnügens schließt die Politik und das moderne Leben mit ein – und lässt auch im 40.ten Jahr keine Spur von Patina erkennen.
Starikow hat diesen Weg über fünf Stationen durch das Landesmuseum mit Sitzgelegenheiten für das jeweils limitierte Publikum angelegt – ganz ohne Alte Meister. Die würden restauriert, erklärt uns Irrsigler ihre Absenz, was fast wahr ist im Hinblick auf die Sanierungsarbeiten am Haus. Stattdessen geht es über Treppen und Ecken an Vollrad Kutschers »Leuchtende Vorbilder« (!) vorbei bis hinauf zum »Roten Waggon« (der Russischen Revolution) im Kabakov-Saal. Kein Problem, schon gar nicht für Birnbaum, ist es, Regers weltumgreifende Abneigungen auch in diesem Ambiente auszubreiten, bevor dieser selbst, von Martin Plass bewegend verkörpert, uns im Alleingang vor einem vom bedauernswerten Irrsigler hoch gehaltenen Tintoretto-Plakat sitzend, Atzbacher informierend, das mit autobiografischen Momenten des Autors besetzte Geheimnis seiner Einladung enthüllt: der Tod seiner geliebten Frau.
Zum guten Schluss aber lädt Reger seinen Freund und Kunstvertrauten dazu ein, mit ihm »Der zerbrochene Krug« im Burgtheater zu besuchen. »Die Vorstellung war entsetzlich«, lautet der letzte Satz, was ganz und gar nicht für diese kleine Preziose des Staatstheaters gilt. Die dauert nur ein schnell vergehendes Stündchen und wäre noch kürzer gewesen, hätte man nicht den Bariton Sam Park neben einem Beethoven-Lied »Die Krähe« aus dem Winterreise-Zyklus Franz Schuberts singen lassen. »Es ist mir auch unerträglich, wenn ich einen unserer Dick- oder Dünnbauchsänger die Winterreise singen höre. Wenn der liedsingende Sänger einen Frack anhat und auf den Flügel gestützt »Die Krähe« singt, war mir schon immer unerträglich und lächerlich. Wie großartig diese Schubertsche Musik ist, wenn wir diese abgrundtiefen, eitel gelockten Interpreten nicht sehen«, sagt Reger, sagt Atzbacher.

Winnie Geipert / Foto: © Maximilian Borchardt
Termine: 10., 17., 20. Dezember, 20 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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