Oho, jetzt wird’s akademisch, wenn nicht gar szientifisch! So denkt man auf dem Weg ins Senckenberg Naturmuseum in Bockenheim und erkennt, einmal angekommen, schon bald, gleich im doppelten Sinne auf dem Holzweg zu sein. Gleichwohl verzichtet der Beitrag der Naturforscher zu der mit dem Deutschen Romantik-Museum und dem Bad Homburger Museum Sinclair-Haus realisierten Gemeinschaftsausstellung »Wälder. Von der Romantik in die Zukunft« keineswegs auf wissenschaftliche Fakten.
Das hier demonstrierte Verhältnis zum Wald bezieht wesentlich künstlerische, literarische und durchaus auch romantische Positionen mit ein. Ja mehr noch: Wer sich mittwochabends zum Senckenberg-Waldspaziergang entschließt, wird gar tänzerisch umschmeichelt von der Kunst, von einem Pas de deux der Dresden Frankfurt Dance Company, die schon lange mit dem Senckenberg kooperiert. »If you don’t get lost in the woods, you haven’t been in the woods« heißt die 20-minütige freie Performance, die uns die Dimension des Unheimlichen im Wald wachruft.
Zu anderen Zeiten aber startet der grünmarkierte Waldwanderpfad im Ersten Obergeschoss des Hauses (inklusive eines Abstechers in das Zweite) verblüffend unspektakulär in einer zur Dauerausstellung gehörenden Vitrinen-Landschaft. Mit zirka 1.000 Präparaten wartet die weltweit größte und artenreichste Schausammlung von Vögeln hier auf. Allerdings werden Nichtwaldvögel wie Möwe und Pinguin von einem grünen Hanfvorhang verdeckt. Der Gang durch das Ornithologen-Paradies wird nachgerade festlich von einer Soundinstallation des Senckenbergianers David Scheld bespielt: eine von Waldvögeln aus aller Welt intonierte Ouvertüre.
Dass der Artenreichtum der Vogelpopulation ein verlässlicher Gradmesser dafür ist, wie es den Menschen geht, das pfeifen denn auch die Senckenberg-Spatzen von den Dächern der Abteilung »Wälderwissen«, die der Biodiversität des Waldes gewidmet ist. Es ist die erste von vier Themeninseln, auf der sich das sogenannte Totholz als hochvitales Habitat von Kleinstwesen offenbart. Der Frankfurter Biegwald zwischen Bocken- und Rödelheim ist ein solcher mit ganz eigener Flora und Fauna ausgestatteter Ort und Hort einer sich wechselseitig unterstützenden Community. Zu der gehört etwa der Kleinspecht, der aufgrund fehlender Größe nicht so ausholen kann mit dem Schnabel und deshalb weiches Holz für seine Woody-Woodpecker-Arbeit als Wohnungsbauer braucht. Aber auch der Heldbock, einer der größten heimischen Käfer, der von der Sonne beschienene Eichen zum Überleben braucht, findet in diesen Auwald das passende Ambiente.
Die Abteilung »Wir und die Wälder« hebt mit der Forderung »Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung« und einer Dokumentation von Joseph Beuys spektakulärem ökologischen Kunstprojekt »7000 Eichen« an, mit dem sich der Künstler 1982 auf der Documenta 7 im Kasseler Stadtbild manifestierte. Seit 2004 stehen die Bäume unter Denkmalschutz (!). Hier siedelt das Senckenberg auch Gouachen von Elisabeth Schultz an, auf denen die Malerin die Pflanzenwelt Frankfurts im 19. Jahrhunderts festhielt. Viele davon sind inzwischen aus dem Stadtbild verschwunden.
Thematisch fügt sich die Abteilung »Vom Leben und Sterben« an, die uns mit Protestplakaten von Klaus Staeck, mit Fotografien von Baumhütten an der Startbahn-West und Transparenten des »Fecher«-Kampfes konfrontiert. Ein eindrucksvolles Video der Schweizerin Ursula Biemann fordert uns auf, die Weltsicht der in den Amazonaswäldern Boliviens lebenden Inga als »indigene Universität« zu begreifen
Eine Filmarbeit im stark erweiterten Sinne stellt auch das 15-minütige Video »Catharsis« des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen dar. Im zweiten Obergeschoss machen wir uns auf Liegesäcken breit, um auf einer Großleinwand die virtuelle Welt eines aus wissenschaftlichen Daten der US-amerikanischen Redwoods gewonnen simulierten Ökosystems zu bestaunen. Von irritierenden Geräuschen knarzender Bäume unterlegt öffnen sich im Gleitflug oder aus dem Untergrund eines sprudelnden Baches den Jahreszyklus wiedergebende Sichten eines Waldes, wie er sich über Hunderte von Jahren von selbst entwickeln würde. Plötzlich fällt auf, dass es kein einziges Lebewesen auf diesem Tauchgang in die Kunstwelt gibt. Da wird er uns wieder unheimlich, der Wald.