»In der Nacht des 12.« von Dominik Moll

Monoton dreht Kommissar Yohan Vivès (Bastien Bouillon) auf einer Radrennbahn seine Runden. So baut er seinen Frust ab, und so entsteht auch ein Bild für polizeiliche Ermittlungen, die sich im Kreise drehen. Was bei den 20 Prozent der etwa 800 Mordfälle im Jahr in Frankreich der Fall ist, die nicht aufgeklärt werden. Die Ermordung der Clara Royer ist einer von ihnen.

Clara (Lula Cotton-Frapier) wird auf dem nächtlichen Heimweg von einem vermummten Mann mit Benzin begossen und angezündet. Es ist eine unfassbare Tat, nicht nur für uns Zuschauer, denen der Anblick des brennenden Mädchens und der halbverkohlten Leiche zugemutet wird, sondern auch für Kommissar Yohan Vivès, der mit dem älteren Kollegen Marceau (Bouli Lanners), an dem Tatort am Fuß der französischen Alpen ankommt. Yohan hat gerade eine Einheit bei der Kripo von Grenoble übernommen, und dieser Mord in der Nacht des 12. Oktober 2016 wird für ihn zu einer Obsession.
In dem Tatsachenbericht von Pauline Guéna, der dem Film als Vorlage dient, stehe, dass jeder Ermittler eines Tages auf ein Verbrechen treffe, das mehr schmerzt als die anderen und aus einem unerklärlichen Grund wie ein Splitter steckenbleibt, berichtet Regissseur Dominik Mol, der zusammen mit Gilles Marchand das Drehbuch verfasst hat.
Beide haben auch bei den Moll-Inszenierungen »Harry meint es gut mit dir« (2000), »Lemming« (2005) und »Die Verschwundene« (2019) zusammengearbeitet. Es hat sich also ein gut eingespieltes Duo an diesen Thriller gewagt, der herkömmliche Muster verlässt und doch in der Tradition von Polizeifilmen etwa eines Bertrand Tavernier steht.
Denn die mühevolle Polizeiarbeit steht im Vordergrund: jeder Spur nachjagen, erfolglose Verhöre führen, immer wieder Protokolle schreiben, die dann nicht ausgedruckt werden können, weil das Gerät streikt, und unbezahlte Überstunden schieben. Work-Life-Balance ist neumodisches Zeug, die Ehe von Yohan ist bereits kaputtgegangen.
Aber der Kern eines klassischen Krimis, die Frage nach dem Täter, bleibt im Dunkeln. Es ist von vornherein klar, dass der Fall nicht gelöst wird. Und doch ist »In der Nacht des 12.« ein spannender Film. Mit der Frage, ob ein Hauptverdächtiger bleibt, dem Yohan und Marceau die Tat nicht nachweisen können, oder ob sie es vielleicht mit einem Serientäter zu tun haben, der noch einmal zuschlägt. Daneben entsteht nach und nach ein zwiespältiges Bild des Opfers.
Die bildhübsche Clara war nämlich kein Kind von Traurigkeit, sondern trieb es mit einer ganzen Reihe von jungen Männern, auch mit sogenannten ›bad guys‹. Einer von ihnen ist ein Rapper, der sogar wütend getextet hat, er werde sie anzünden. Bei seinem Verhör gerät der psychisch angeschlagene Marceau seinerseits in Wut und hält dem Jungen eine mögliche Beihilfe zum Mord vor.
So dringt der Film gegen Ende zu einem gesellschaftlichen Problem vor. Wenn Frauen die Opfer sind, handelt es sich bei den Tätern in der Regel um Männer und bei denjenigen, die den Täter finden sollen, eben auch um Männer. In dieser Männerwelt fehlen einfach die Frauen. Deshalb startet auch nach drei Jahren eine von Anouk Grinberg eindrucksvoll gespielte Untersuchungsrichterin einen letzten Versuch, den Mörder von Clara zu finden. Die Richterin und die junge Polizistin, die zu den ermittelnden Männern hinzukommt, verändern die Atmosphäre im Team und geben dem kompletten Film eine neue Richtung.

Claus Wecker / Foto: © Ascot Elite
https://youtu.be/dYW9fqo4zoM
IN DER NACHT DES 12. (La nuit du 12)
von Dominic Moll, F 2022, 115 Min.
mit Bastien Bouillon, Bouli Lanners, Théo Cholbi, Johann Dionnet, Thibaut Evrard, Julien Frison
Thriller / Start: 12.01.2023

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