»In Liebe, Eure Hilde« von Andreas Dresen

Auf nicht gerade neuem Terrain bewegt sich Andreas Dresen mit seinem historisch belegten Berlinale-Beitrag über eine junge Frau im Dritten Reich, die sich einer Widerstandsgruppe anschließt, 1942 wegen Spionage verhaftet und schließlich hingerichtet wird. Neu ist in seinem Film hingegen die Erzählweise: Von ihrer Verhaftung, der Zeit im Gefängnis bis zum Prozess und zur Hinrichtung erzählt er chronologisch; parallel dazu geht er Szene um Szene zurück und zeigt, wie es dazu gekommen ist.

Dresens Film »In Liebe, Eure Hilde« ist vor allem ein Porträt dieser Hilde (Liv Lisa Fries) und weniger eine genaue Schilderung des Lebens in der Nazi-Diktatur. Ohnehin werden, je weiter wir uns von der unseligen Zeit des Dritten Reiches entfernen, die historisierenden Filme umso merkwürdiger. So hat Dresen gar nicht erst den Versuch unternommen, mit Hakenkreuz-Fahnen und originalgetreuen Kleidern und Frisuren geschichtliche Genauigkeit vorzutäuschen.
Weil heutzutage ja jeder weiß oder zumindest wissen sollte, dass die Nazis für ungeheure Menschheitsverbrechen verantwortlich sind, glaubt Dresen, sich die Darstellung des damaligen Drucks auf die öffentliche Meinung zusammen mit Verschleierungs- und Verdrehungsstrategien und der Androhung drakonischer Strafen sparen zu können. Sein Film legt den Schluss nahe, damals hätte eigentlich jeder Flugblätter drucken, oppositionelle Zettel an öffentliche Wände kleben und Funkkontakt mit der Sowjetunion herstellen können. Dass übrigens Stalins System dem des Führers an Brutalität nicht nachstand, unterschlägt der Film obendrein.
Immerhin schildern Dresen und Drehbuchverfasserin Laila Stieler in ihrer achten Zusammenarbeit die Gruppe, die als »Rote Kapelle« in die Geschichtsbücher eingegangen ist, nicht als eine Vereinigung von übergroßen sozialistischen Helden, wie das im »Arbeiter- und Bauernstaat« üblich war. Die zumeist jungen Menschen um Hans Coppi (Johannes Hegemann) empören sich wie heutige Zeitgenossen über Nachrichten und Gerüchte von der Ostfront und scheinen nach Wolf Biermanns »Was verboten ist, das macht uns grade scharf« zu handeln.
Hildes Beteiligung an den Aktionen scheint weniger ihrer politischen Überzeugung als ihrer Liebe zu Hans geschuldet zu sein. Der Sommer 1942 wird der schönste Sommer ihres Lebens, der aber auch die größte Tragik ihres Lebens zur Folge hat. Denn Hilde ist schwanger, als sie wegen Spionage verhaftet wird, und bringt ihren kleinen Sohn, den sie nach dem bereits hingerichteten Vater Hans nennt, im Berliner Frauengefängnis zur Welt. Gerade ihre Schwangerschaft dürfte Hilde die Kraft gegeben haben, bis zur Hinrichtung standhaft bleiben.
»Wir wollten modern und poetisch von jungen Leuten erzählen«, kommentiert Dresen, der angibt, von der historischen Geschichte und Stielers Drehbuch zutiefst beeindruckt gewesen zu sein. Doch dauert es eine ganze Weile, bis sich diese Wirkung auch beim Kinopublikum einstellt. Der Kontrast zwischen den grauen Bildern des Gefängnisalltags und den hineingeschnittenen hellen Sommerbildern von Kamerafrau Judith Kaufmann ist zwar ein origineller Einfall, hat mich aber auf Distanz gehalten.
Dresen und Stieler stellen das staatliche Personal zum Teil erstaunlich human dar. Weil er auf stramme, »hundertprozentige« Nazis verzichtet, wie wir sie aus amerikanischen Propaganda- und deutschen Nachkriegsfilmen kennen, wirkt am Ende die juristische Grausamkeit des Systems umso brutaler. Das Gnadengesuch der zunächst grimmig dreinblickenden und auch so handelnden Aufseherin (Lisa Hrdina), wird natürlich kommentarlos abgelehnt. In diesem Fall hätte der Führer doch eine Ausnahme machen können, findet sie.
Bei Hildes Abschied von der Mutter (Tilla Kratochwill) bleibt kein Auge trocken. Und wenn Liv Lisa Fries schließlich Dresens Lieblingsschauspieler Alexander Scheer, der den Gefängnis-Pfarrer spielt, Hildes Abschiedsbrief diktiert, vollendet sie ihre grandiose Darstellung, und der Film entfaltet die emotionale Kraft, die ich in der ersten Hälfte vermisst habe.

Claus Wecker / Fotos: © Pandora Film
In Liebe, Eure Hilde
Drama von Andreas Dresen, D 2024, 125 Min.
mit Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer, Emma Bading, Fritzi Haberlandt
Start: 17.10.2024

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