Es geht gar nicht anders, in Elina Brotherus muss man sich verlieben. Wie sie da steht, ein bisschen schmächtig, ein bisschen knöchern, ein bisschen schelmisch und sehr klug, in ihrem himmelblau/sonnengelben Outfit, am einhundertsten Tag des Vernichtungskrieges gegen die Ukraine, da möchte man sie sofort umarmen. Selbstverständlich ist der Krieg ein Thema bei ihr: Sie hat sich in der von Alvar Aalto gestalteten Paimio Klinik fotografieren lassen, auf der blaugelben Treppe, sie ist selbst ganz in Blaugelb gekleidet, um dem berühmtesten aller finnischen Architekten und seiner Treppen-Architektur zu huldigen, und diese Fotografie widmet sie nun in einer unlimitierten Auflage Hilfsprojekten in der Ukraine.
Das Fotografie Forum Frankfurt präsentiert jetzt mit 60 Fotografien und elf Videos unter dem Titel »In Reference to a sunny Place« eine umfassende Werkschau der finnischen Künstlerin, die erste in Deutschland – und man ist auf der Stelle bereit, mit ihr in ihr Leben zu springen, denn das ist das, was sie ausstellt.
Ihre Doppelrolle als Modell und Künstlerin gleich zu Beginn. Die Fotos zeigen sie als Fotografin mit der Kamera und als sie selbst, in einer Rolle, in keiner Rolle? Auf alle Fälle ganz bloß, ganz nackt, was überhaupt nicht aufdringlich wirkt, ist sie doch ihr ureigenstes Material. Sehr spielerisch und auch kühl zeigt sie das, und doch führt es zu einer tiefernsten Auseinandersetzung mit ihrem künstlerischen Ich und mit ihren Brüchen in ihrem Leben. Sie bestellt die Betrachter*innen zur Zeugenschaft, das Private wird politisch, Feminismus ist das Gebot der Stunde, aber Übermut und Ironie sind stets nicht weit, bei aller Distanz, die aus ihren Fotografien spricht.
Kuratorin Celina Lunsford beschreibt sie als Double Identity, als Profiteurin des Moments als auch als konzeptuell Schöpfende, in Partituren Denkende. Reflexion auch im bildlich-übertragenen Sinn ist ein wichtiges Thema bei ihr – das drückt sie auch in ihren Naturbildern aus, den »Wanderungen«, in denen sie sich auf das berühmte Motiv von Caspar David Friedrich bezieht, und in der dem Schriftsteller W.G. Sebald gewidmeten Sebaldiana-Serie auf Korsika. Wasser, Seen, das Meer wirken dort als Spiegel. Sebald hat sie zum ihrem Cicerone für ihre Landschaftsaufnahmen aus Korsika bestellt, seinen Spuren – dem Verschwundenen – folgt sie. Parallel dazu drapiert sie ein kleines Herbarium zufällig gefundener Unkrautblätter in Cyanotypie.
Die Abkehr von Überkommenem, der Sprung in neue Identitäten kehrt als Thema ihrer Selbstreflexion verlässlich auf, z.B. ihre Beschäftigung mit Fluxus und ihren mit dem Selbstauslöser festgehaltenen One Minute Sculptures. Sie sind voller lebenssprühender Ironien.
Susanne Asal / Foto: Flux Harpsichord Concert, 2016, © Elina Brotherus
bis 18. September: Di.–So., 11–18 Uhr