It‘s a woman‘s world – Elizabeth Catlett im Museum für Moderne Kunst

»Das Lernen hört auf, wenn unsere Kinder fragen: Was ist Rassismus?« Sagt David Mora Catlett aus Anlass der Eröffnung einer umfangreichen Retrospektive des Werkes seiner Mutter Elizabeth Catlett im Tower des Museum für Moderne Kunst. Sehr plakativ, und zu Recht. Geboren in Washington D.C. im April 1915, ist sie eine derjenigen, deren künstlerische Biografie Zeugnis ablegt von einer Parallelwelt in der Kunstgeschichte, einer Parallelwelt auf dem Kunstmarkt und in den Galerien, denn sie ist eine der wichtigsten afroamerikanischen Künstlerinnen, aber bekannt wo? In den USA: ja, in Mexiko, wo sie Jahrzehnte lang gelebt hat: ja. In Europa? Der schwarze Kunstkanon ist – bis auf wenige Ausnahmen – noch zu entdecken.
Im MMK ist nun die erste umfassende Werkschau zu sehen, die all ihre Schaffensphasen einschließt. Unter der Präsidentschaft Barack Obamas sollte ihr Porträt eine Dollarnote zieren, unter Trump wurde das Vorhaben – selbstverständlich – gestoppt, Joe Biden will es jetzt wieder fördern. Wenn es überhaupt nur einen Grund gäbe, die Arbeiten von Elizabeth Catlett auszustellen: hier ist er.
Aber es gibt natürlich einen sehr viel gewichtigeren. Elizabeth Catlett ist die erste Repräsentantin einer schwarzen Ikonografie. Vor ihrem Auftauchen in der Kunstwelt in den 1930er und 1940er Jahren gab es keine identitätsstiftenden Bilder aus den Lebenswelten der PoC, keine Bilder ihrer Held*innen, ihrer Geschichte, ihrer Gesellschaft. Und sie ist Feministin. Ihre Aufmerksamkeit gilt dem weiblichen Kosmos. Ihre künstlerischen Mittel: leicht reproduzierbar, Kunst sollte für alle zugänglich, also auch preiswert sein.
In einem mittelständischen Haushalt aufgewachsen, hatte die Künstlerin Zugang zu Universitäten, die für schwarze Studenten geöffnet waren, und erwarb Diplome und Masterabschlüsse in Bildhauerei, Holzschnitzerei und Malerei. Auch damals schon galten die Rassentrennung und die soziale Ausbeutung der schwarzen Community als konzeptionelle Triebfedern ihrer Arbeiten, und dann umso mehr, als sie nach einem Studienaufenthalt aus Mexiko zurückkehrte. Das postrevolutionäre Mexiko in den 1930er und 1940er Jahren unter seinem sozialistischen Präsidenten war zum Schmelzpunkt und Sammelbecken frischer künstlerischer Identitäten und Stilrichtungen geworden, und das neu gewonnene antikoloniale Selbstbewusstsein der Indígenas beeindruckten die Künstlerin so tief, dass sie 1947 nach Mexiko zog. Die USA unter McCarthy, die Atmosphäre des Kalten Krieges konnten ihr als Heimstatt nicht mehr dienen.
Hier erhielt sie einen neuen Impuls für ihre Arbeit: Im Taller de Gráfica Popular, in der Werkstatt für volkstümliche Grafik, wurden Drucke, Linol-und Holzschnitte, Lithografien, Plakate und auch Flugblätter mit aufklärerischem, linkspolitischen und sozialistischem Inhalt produziert, es war die Kultur des kritischen Widerstands und der gesellschaftlichen Befragungen, die sich hier Bahn brach. Klar, dass Elizabeth Catlett ihren künstlerischen und ästhetischen Untergrund gefunden hatte. Dazu kam die Anerkennung: Im Jahr 1958 erhielt sie als erste Frau einen Lehrstuhl für Bildhauerei an der renommierten Escuela Nacional de Artes Plásticas der Universität von Mexiko. Ein weiterer Inspirationsquell sprudelte ihr aus der traditionellen afrikanischen Kunst zu. Die kunstvolle Reduzierung der Linien, die Abstraktion der ausdrucksstarken Masken – man merkt ihren Arbeiten an, dass sie dies ausführlich studiert hatte. Und sie verwebt mexikanische Lebenserfahrungen mit denen der schwarzen Bevölkerung.
Das Museum für Moderne Kunst nun verzichtet bei seiner Präsentation der Lithografien, Holz- und Linoldrucke, Zeichnungen und Skulpturen auf inszenatorische Kniffe, so pur und so leise wie nur möglich geht es hier zu, schmucklos fast, die Konzentration liegt auf der Kunst. Das Eingangsstatement und die Basis setzen Arbeiten zum Thema »The Black Woman«, einem Zyklus, der zwischen 1946 und 1947 in Mexiko entstand. Als Dienstmagd, als Musikerin, als Arbeiterin sind hier schwarze Frauen dargestellt. Ein Bild vom Menschen zu finden – dieses Motto durchzieht die gesamte Schau, die mit politischen Stellungsnahmen nicht spart und die Idole des Widerstandes des Civil Rights Movement, der Black Panther Bewegung, Angela Davis, Harriet Tubman, Sojourner Truth, Mahalia Jackson, Martin Luther King, Malcolm X, genauso feiert wie die schwarze Schönheit und eine mexikanische Straßenverkäuferin. Ihre Bilder sind leise, intim, nie auftrumpfend, still, nähern sich bei aller Stilisierung, die das verwendete Material ja vorgibt, stets einer sprechenden Wahrhaftigkeit. Den Müttern der Welt, den Bewahrerinnen, Beschützerinnen des Lebens ist ein eigener Raum gewidmet.
Und so sollen die abschließenden Worte ihr gehören: »Die Kunst, die wir schaffen, muss eine Kunst der Befreiung und der Lebensbejahung sein.«

Susanne Asal / Foto: Elizabeth Catlett, Roots, 1981, Elizabeth Catlett Family Trust, Mexico, © Elizabeth Catlett Family Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Axel Schneider
Bis 16. Juni 2024: Di.–So., 11–18 Uhr; Mi., 11–19 Uhr
www.mmk.art

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