Noch bis Oktober: Städel. Frauen – Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900

Da sitzen sie nun, die Damen, und sehen aus als warteten sie auf ihr Stück Kuchen zum Nachmittagskaffee. Schleifenhut, Rüschenkragen, hochgeschlossen, sehr schicklich. Doch oh: wie man sich täuschen kann. Die eine wird gleich an den Seziertisch gehen und das Aufschneiden einer Leiche malen, schön graubläulich das Ganze, die andere porträtiert einen hinreißenden Frauenakt, hingegossen auf einem blauen Sofa. Und die Tänzerinnen im Moulin Rouge und ihre frivolen Posen und Pirouetten kennen sie selbstredend auch. Die Bilder sind nicht Produkt ihrer Phantasie, sondern Teil ihrer Ausbildung im Pariser Atelier von Raphael Collin, und genau deswegen sind sie hier, die Damen Kowarzik, Smith und von Guaita.
Mit dieser Fotografie aus des Lehrers Atelier stimmt uns die Schau ein. Vorurteile bitte im hohen Bogen über Bord. Was bislang ihren männlichen Kollegen vorbehalten war, das nehmen sich die Damen jetzt auch. Doch ihre Namen sind größtenteils nur Insidern bekannt. Die Schau im Städel stillt nun die Neugier: Unter dem Schlagwort »Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900« entfaltet sich hier und jetzt die damalige Kunstwelt neu: aus weiblicher Sicht. Und hinter den Rüschenkragen verbirgt sich mehr aufrührerischer Geist als man denkt.
Ausgrabungen haben im Städel Tradition. Als im vorvergangenen Sommer eine hauseigene Sammlung mit Werken Ottilie W. Roedersteins gezeigt wurde, war die kuratorische Neugier entfacht und ermöglichte sowohl Fundament wie Fragestellung: wie stark waren Frauen vom öffentlichen Kunstgeschehen ausgeschlossen, wie sehr auch von einer akademischen Ausbildung an staatlichen Instituten? Private Unterrichtsstunden waren natürlich immer möglich, aber die Sujets hatten weiblich zu sein, Blumen, Stillleben, Mutter-Tochter-Szenen, bloß keine geschichtlichen Panoramen und gar Akte. Letzteres nicht unbedingt aus patriarchaler Sorge um Schicklichkeit, sondern aus Sorge – ebenfalls patriarchalisch – um den Verlust einer (männlichen) Einnahmequelle: Akte brachten nämlich richtig viel Geld ein. Und: was lagerte in den Archiven des Städel selbst?
Unterstützt und vielfältig ergänzt durch Leihgaben aus der ganzen Welt, finanziert durch einen enormen Etat, breitet die Schau nun ihre Schätze aus – Stand jetzt. Und fand ganz nebenbei heraus, wie imponierend die Rolle der Vernetzung gewesen sein muss. Ohne den Zwang, eine bürgerliche Ehe eingehen zu müssen, wollten die Künstlerinnen von ihrer Kunst leben, und so bemühten sie sich um eigene Zusammenschlüsse, teilten sich Wohnungen und Ateliers, unterrichteten sich untereinander. Als Johann Friedrich Städel im Jahr 1815 seine Kunstsammlung Frankfurt vermachte, hielt er in seinem Testament explizit fest, dass es auch eine Kunstakademie aufbauen sollte, an der Frauen studieren konnten, ebenso wie die dortigen Ateliers beziehen. Das half natürlich enorm. Später dann, in den 1920er Jahren, arbeitete das Städel eng mit dem Bauhaus zusammen, und nach seinem Vorbild entstanden Meisterklassen, in denen auch Frauen studieren konnten. Und interessanterweise waren die Künstlerinnen in den Galerien zwischen 1900 und 1920 viel präsenter als später.
Purer kann man die Antwort nicht erwarten: gibt es den weiblichen Blick? Was wird überhaupt gemalt? Eingedenk der Tatsache, dass es den Malerinnen auf volle Auftragsbücher ankam, nicht unbedingt auf das bahnbrechende Experiment. Und so sind Porträts die am häufigsten vertretene Gattung unter den 80 Exponaten, doch auf den wenigsten wird man darauf eine Frau lieblich lächeln sehen. Sie blickt meist fest und klar den Betrachter an, distanziert, herausfordernd gar, wie Erna Auerbachs »Bildnis einer Frau in Schwarz«, das Postergirl der Ausstellung, mit einer Zigarette. Das krasse Gegenteil von »süß« sind die Kinderporträts von Inge Dinand. Sie selbst inszeniert sich kühl wie eine Schönheit aus den noir-Filmen der 1940er Jahre; das Selbstbildnis der Schülerin von Max Beckmann und Willy Baumeister stammt aus den 30er Jahren. Erna Auerbach und Marie-Louise von Motesiczky, von der das neusachliche Porträt eines Arbeiters ausgestellt ist und die ebenfalls in der Beckmann-Klasse studierte, flohen vor der Nazi-Diktatur nach London, in die Niederlande.
Am bekanntesten dürfte wohl die Malerin Louise Catherine Breslau sein, die mit mehreren Werken vertreten ist, aber auch Madeleine Smith und vor allem Ottilie W. Roederstein sind den Städel-Besucher*innen ein Begriff. Atemberaubend berührend die düster-dunklen Buchillustrationen von Rosy Lilienfeld, die bereits im vergangenen Jahr im Jüdischen Museum »zurück ins Licht« geholt wurde und mit Ottilie W. Roederstein damals gemeinsam ausgestellt hatte. In der weiblichen Solidargemeinschaft gab es keinen Platz für Antisemitismus.
Und so vollzieht das Städel mit seiner Schau die Emanzipation nach, die diese malenden Frauen antrieb. Aber auch seine eigene … Bislang sind etwa 30 Prozent des Städel`schen Kunstbestandes weiblicher Herkunft. Seit der Moderne hat sich der prozentuale Anteil stets vergrößert, aber bei fifty-fifty sind wir noch nicht, sagt Städel Direktor Philipp Demandt.
Und immer, wenn noch nicht alle Lücken gefüllt, alle Erkenntnisse dargelegt sind, wenn man den Prozess des Entdeckens nachvollziehen kann, wie hier beispielsweise an dem vielfach präsentierten dokumentarischen Material, wird eine Ausstellung so richtig spannend.

Susanne Asal / Foto: Ida Gerhardi, Tanzbild VIII (Can-Can-Tänzerinnen bei Bullier), um 1904
© Galerie der Stadt Lüdenscheid, Foto: Steffen Schulte-Lippern
Bis 27. Oktober: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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