»Phädra in Flammen« am Kammerspiel Frankfurt

Wenn die georgische Autorin Nino Haratischwili schreibt, dann hat sie ein Geschenk vor Augen. Sie schenkt ihrer Leserschaft eine gleißende Anzahl unverwechselbarer Frauenfiguren aus der Geschichte ihres Landes. Idealtypische Trägerinnen von gesellschaftlichen Prozessen, jedes Schicksal eine herausfordernde Identität. In ihren Romanen sind Frauen die Protagonistinnen, Dulderinnen: ja, aber wesentlich mehr noch die Gestalterinnen des Lebens. Die Geschichte aus feministischer Erfahrungs-Perspektive gleichsam anti-patriarchalisch erzählt – das gibt den Blick frei auf eine zweite, die vielleicht bedeutsamere politische Ebene? Frauen sind bei Haratischwili stets Rebellinnen gegen das System und legen Machtstrukturen bloß.
Auch die mythische Phädra ist das. Die Gattin des Theseus, Schwester der Ariadne, die sich unglücklich in ihren Stiefsohn Hippolytos verliebt, begeht Verrat an der gesellschaftlichen Ordnung. »Phädra in Flammen« nennt Nino Haratischwili ihre Überschreibung dieses mythischen Stoffes, und da sie Georgien dabei im Kopf hat, die Gewaltszenen bei einer Demonstration gegen die LGBTQ-Gemeinde in ihrer Heimat, streicht sie Hippolytos und erfindet Persea, die ihren erstgeborenen Sohn Demophon heiraten soll. Sie verliebt sich aber in Phädra. Die Liebe wird erwidert. Und damit geht die Tragödie ihren Gang. Aber welche genau?
Regisseur Max Lindemann hat sich dazu entschieden, den Stoff weder antikisch zu verorten noch in eine georgische Gegenwart zu transportieren. Er schwebt ziemlich unverankert zwischen den Zeiten, was ihn aus einem konkreten Rahmen herauslöst. Eine kreisrunde Spielfläche, von Vorhängen begrenzt, Lee Hazelwoods und Nancy Sinatras rätselhaft-dunkles – und ziemlich wunderbares – »Some velvet morning« als Einstieg.
Phädra sitzt in einem halb auf die Bühne gefahrenen (Flucht-?)Wagen, steigt aus, setzt sich auf einen Stuhl und beginnt mit der bitteren Bestandsaufahme ihres Lebens. Sie hat es so satt. Alles. Ihren permanent fremdgehenden Ehemann, sein Klammern an die Macht, seine Weigerung, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Wie sie da sitzt, in einer seidenen Tunika und einer seidenen Marlene-Hose, ist sie eher zeitgemäße Upperclass-Frau in hanseatischem Understatement-Chic. Da vermischt sich jetzt sehr schnell etwas. Kein antikes Maß, sondern eine verbitterte Frau mit einer ziemlich verschwiemelten Anklage: »Das Ich, Du hast es mir genommen. Ich möchte in den Uterus meiner Zeit zurückkehren«. Uhhhh. Das spricht die großartige Anna Kubin bitter, aber auch gefühlskalt, bilanzierend.
Damit wird aus dieser Tragödie aber eher eine Ehekrise. Eine nicht mehr ganz junge Frau, die sich nichts mehr wünscht als mit ihrem Ehemann die noch verbleibende Zeit ihres Lebens von allen Pflichten befreit auf Delos zu verbringen, man könnte auch folgern, als Rentnerin auf Mallorca. Und dann kommt diese junge Persea daher und spricht von Begehren, spricht von ihrem Unglück, von ihrem Zerfall. Wie verhält man dann sich bloß? Lässt man das Aufbrechen dieser Verkrustungen zu, lässt man sich auf das Glücksversprechen ein? Oder klammert man sich doch an die Macht, an den Mann, an den König?
Wer das Stück wieder in seine Form bringt, ist der Hohepriester Panopeus. Theseus (Sebastian Kuschmann) ist die Verkörperung des labilen, nicht uncharmanten, erfolgsgewohnten Machtmenschen, den nichts so sehr trifft wie der Machtverlust. Demophon (Miguel Klein Medina) halt ein braver gedemütigter Thronfolger, der kleine Sohn Acamas (Mitja Over) ein reizender Rebell, ein bisschen aufgemacht wie Harry Styles. Süß. Persea (Lotte Schubert) als diejenige, die die Tragödie auslöst, ist schwach, zu unverbindlich, vielleicht zu modern? Sie ist nicht tragisch. Aber das Stück, die Inszenierung geben ihr auch wenig Zeit und Anlass, eine Liebesgeschichte zu entwickeln.
Panopeus dagegen zeichnet Andreas Vögler völlig überzeugend als den zur Macht gekommenen Underdog, der die außer Kontrolle geratene Gesellschaft (Homosexualität der Mutter, Rollenverweigerung des Sohnes) wieder zur Gotteshörigkeit zurückfoltern will, zur Akzeptanz einer höheren Macht, die Menschenopfer fordert. In ihm wohnt die unheilvolle Sehnsucht nach einem Führer, den er als Gott und sich selbst als berechtigten Ausführenden des Willen Gottes sieht. Dieser interpretatorische Spielraum ist aber einfach zu stark für die Phädra von Nino Haratischwili. Und das ist so schade! Denn die Macht, die hier sensationell offen gelegt wird, ist die Macht des religiösen Fundamentalismus, egal welcher Couleur – im Falle von Georgien der katholische. Dagegen ist Phädras Uterus-Phantasie – ehrlich gesagt – pippifax.

Susanne Asal/ Foto: © Jessica Schäfer
Termine: 15., 26. April, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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