Er ist bunt, fröhlich und witzig, ein überraschender Eyecatcher – trotzdem: dieser überdimensionale Baum aus Plastikeimern, den der Kameruner Künstler Pascale Marthine Tayou schuf und damit gleichzeitig das Emblem der Ausstellung in der Schirn, erzählt allein schon von der Doppelbödigkeit, die mit diesem Thema verbunden ist. Prall, praktisch, preiswert, aber auch Wegwerfware, die an Afrikas Küsten massenhaft angeschwemmt aber auch für dort produziert wird. Der Kreislauf ist etabliert.
Plastik ist ein äußerst streitbarer Stoff. Doch wie es dazu kam, dass dieses heute eher verfemte Material – auch – in der Kunst eine rasante Erfolgsgeschichte zu schreiben in der Lage war, versucht die Schirn in einer Ausstellung nachzuvollziehen. Von der strahlenden Aufbruchsstimmung des Plastic Age in den 1960er Jahren bis zur immensen Umweltbelastung hat das Ausstellungshaus konträre künstlerische Positionen versammelt. Und die Schirn wäre nicht die Schirn, wenn sie nicht der weiblichen Perspektive auf die Dinge einen vornehmlichen Platz zugestehen würde. So hängt im Entree der Ausstellung zwar die raumgreifende Installation »Forest Ranger« (1967) von James Rosenquist von der Decke, doch munter und lustig baumeln gleich bei der Tür zwei aufblasbare Plastik-Nanas vor unserer Nase, eine augenzwinkernde Replik auf die erfolgreiche Niki de Saint Phalle Ausstellung im vergangenen Jahr. Eine dritte Nana liegt platt in einem Glaskasten, hier hat sich das Material ermüdet. Es lässt sich nicht mehr aufblasen, Plastik ist nun mal nicht für die Ewigkeit. (Leider doch, wie wir später im Ausstellungsparcours sehen werden und selbst ja auch wissen).
Den zweiten feministischen Aspekt steuert Kiki Kogelnik bei: Sie hat Kollegen gebeten, sich auf den Boden zu legen und anschließend ihre Umrisse kopiert. Die nun hat sie aus buntem Vinyl ausgeschnitten, übereinander getackert und ganz einfach über Stahlbügel an die Wand gehängt. So konnte man auch mit Männern – im Jahr 1967 – umgehen.
Die immense Aura des Aufbruchs, welche der Verwendung von Kunststoff innewohnt, wird hier ganz deutlich sichtbar und in ihren gesellschaftlichen Bezugsrahmen gesetzt. Synthetische Stoffe waren neu, transparent, gut formbar, gut transformierbar, preiswert, schlugen die Brücke in die Alltäglichkeit. Den vollzog Thomas Bayrle umstandslos mit seinem Turm aus Plastiktassen, der ebenfalls im Eingangsbereich zu finden ist. Diese Kunst ist demokratisch, sie greift die Lust an Ungesehenem auf. In ihm war das Neue praktisch schon implantiert. Wer sich auf die Suche machte nach Wegen abseits der bekannten und klassischen Stoffe, fand in Polyesterfilm, Silikon, Styropor, Vinyl, Plexiglas, Schaum und Polyurethan die geeigneten Materialien.
Doch die zweite Ebene ist stets eingezogen, wie man an der müden Nana im Glaskasten sieht. Auch das absolute Schauobjekt der Ausstellung, die raumgreifende und zauberhafte Anemonen-Installation »An Air Aquarium« von Otto Piene aus dem Jahr 1976, die mittels Luftschläuchen belebt wird, ist eine eigens für die Ausstellung geschaffene Rekonstruktion und wird so, wie sie jetzt ist, wohl nie mehr zu sehen sein.
Ganz explizit greift der Arte Povera Künstler Piero Gilardi dieses Thema auf und ist gleichzeitig Beute davon: seine aus Polyurethanschaum geformten Wandbilder eines Dschungels (1987) und eines Strandes müssen liegend gezeigt werden, weil das Material mittlerweile so porös geworden ist, dass es hängend vermutlich zerfallen würde.
Und so schreitet man Schritt für Schritt die Stationen der künstlerischen Erforschung des Materials ab, aber auch deren Verwerfung. Der Gipfel ist das Video »Barrenderos« (2004) des belgischen Künstlers Francis Alys, der mitten in Mexiko Stadt eines Abends Menschen Straßenmüll zusammen kehren ließ, bis der Berg mit dem Plastikschrott derart angewachsen war, dass der kein Durchkommen mehr gestattete. Und doch liegt eine Brillanz über diesen diamantenen und perlig schimmernden Plastiktütenhaufen.
Witzig, absurd und natürlich gleichzeitig erschreckend: die Schirn erzählt die Geschichte von den Geistern, die man rief, auf seine Art und Weise.