»Roter Himmel« von Christian Petzold

Nach elf Jahren stand Christian Petzold, einer der wenigen Regisseure unter den deutschen Filmemachern mit einem unverwechselbaren Stil, dieses Jahr wieder auf der Preisträger-Bühne der Berlinale. Eingerahmt ausgerechnet von zwei Vertretern der sogenannten Berliner Schule, der er – gegen seinen erklärten Willen – zugeordnet wird: Angela Schanelec (Drehbuchpreis für »Music«) und Christoph Hochhäusler (Thea Ehre als beste Nebendarstellerin in seinem »Bis ans Ende der Nacht«).

Dass Petzolds »Roter Himmel« unter den – überproportional im Wettbewerb vertretenen – fünf deutschen Produktionen, die einzige war, die an internationale Qualität heranreichte, war beim gegenwärtigen Zustand des deutschen Films allerdings keine Überraschung. Zumal sich Petzold nach seiner etwas mythologisch-verqueren »Undine« (2020) wieder der Meisterschaft seiner frühen Filme (u.a. »Die innere Sicherheit« und »Wolfsburg«) annähert.
Es ist eine Geschichte, wie sie auch Eric Rohmer (»Pauline am Strand«) hätte erfinden können, nur dass hier die weltweit drohende Klimakatastrophe über einem leichthändig erzählten Beziehungs-Geflecht schwebt.
Der aufstrebende Schriftsteller Leon fährt mit Felix, seinem besten Freund seit Kindertagen, an die Ostsee. Leon will dort seinen zweiten Roman vollenden, während Felix seine Bewerbungsmappe für das geplante Kunsthochschul-Studium zusammenstellen will. Doch im Sommerhaus von Felix’ Eltern erwartet sie eine Überraschung: Es ist doppelt vermietet und ausgerechnet im größeren Zimmer hat sich die Saisonarbeiterin Naja breitgemacht. Widerwillig teilen sich die beiden Freunde das kleinere Zimmer, was aber erst der Anfang weiteren Ärgers ist.
Nachts ist an Schlafen kaum zu denken, weil Nadja entweder Musik hört, oder mit der gleichen Lautstärke ihren erstmal »unsichtbar« bleibenden Liebhaber beglückt. Leon zieht sich in die Gartenlaube und in sich selbst zurück, versagt sich allen Ablenkungen. Als doch einmal lustlos mit zum Strand geht, erkennt er in dem Rettungsschwimmer Devid Nadjas Sexualpartner. Beim gemeinsamen Abendessen lässt Leon Devid deutlich seine Abneigung spüren, während Felix sich in Devid verliebt.
Nadja scheint damit kein Problem zu haben, nähert sich mit ihrer empathischen Art immer wieder Leon an, was diesem einerseits schmeichelt, andererseits aber zutiefst verunsichert, weil er sich ihre Attraktivität nicht eingestehen will und lieber in seinem egozentrischen Narzissmus verharrt. Der Besuch von Leons Verleger Helmut hebt auch nicht gerade die Stimmung, weil dieser kein gutes Haar an Leons Manuskript lässt, sich mit den anderen aber blendend versteht. Währenddessen rücken die Katastrophen immer näher …
Zum dritten Mal spielt Paula Beer, die Nina Hoss als Muse des Regisseurs abgelöst hat, nun die Hauptrolle in einem seiner Filme. Ihr rotes, erotische Leidenschaft signalisierendes Sommerkleid korrespondiert dabei sinnig mit der roten Glut des den Himmel färbenden Waldbrandes. Ihre selbstbewusste ›femme fatale‹ ist aber auch ein wunderbarer Gegensatz zu der von dem Österreicher Thomas Schubert (u.a. »Das finstere Tal«, »Wilde Maus«) gespielten Figur des zutiefst verunsicherten Schriftstellers. Wie er sie und uns, mehr mit prägnanter Körpersprache, denn mit erklärenden Worten, auf Distanz hält, um am Ende doch die verletzliche und menschliche Seite seines Charakters durchscheinen zu lassen – das ist große Schauspielkunst und der Beweis für Petzolds nuancierte Schauspielerführung, die uns auch Langston Uibel (Felix), Enno Trebs (Devid) und Matthias Brandt (Helmut) nie als Nebenfiguren wahrnehmen lassen, sondern als unverzichtbare Protagonisten in einem um Liebe und Leid kreisenden Sommermärchen, dem Heines Gedicht »Der Asra« noch einen literarischen, gleichwohl in die (Film-)Gegenwart, weisenden Stempel aufdrückt: »Und mein Stamm sind jene Asra, welche sterben wenn sie lieben«, klagt der Sklave Mohamet, der sich in die Sultanstochter verliebt hat.
Dass diese Wehmut auch komische Momente gebiert, ist ein neuer Zug in Petzolds, wie immer jedes überflüssige Wort vermeidendem Drehbuch. Und seine Protagonisten nehmen dankbar diese Leichtfüßigkeit auf.
Die präzis kadrierten Bilder von seinem Haus-Kameramanns Hans Fromm geben dem Film zudem einen kinogerechten Rahmen, der uns nie das Gefühl vermittelt, vor einem auf die große Leinwand projizierten TV-Bild zu sitzen. Wir entdecken mit »Roter Himmel« einen neuen Petzold, auf dessen weiteres filmische Wirken man sehr gespannt sein kann.

Rolf-Ruediger Hamacher / Foto: © Schramm Film
Trailer: https://youtu.be/R2Nsza3tyBQ
ROTER HIMMEL
von Christian Petzold, D 2023, 102 Min.
mit Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt
Drama
Start: 20.04.2023

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