Am Anfang war die Puppe. Das ist sicherlich keine steile These im Hinblick auf Goethes dramatisches Schaffen. Schon im Alter von vier Jahren verfiel Klein Johann Wolfgang der Faszination eines Puppentheaters, das die Großmutter ihm und Schwesterchen Cornelia zu Weihnachten schenkte – und das bis heute erhalten ist. Das »Theaterzimmer« im dritten Stock des Goethehauses war folglich auch ein Ziel, das Regisseur Jan-Christoph Gockel zum Auftakt seiner Arbeit an »Faust 1 & 2« mit seinem gesamten Team ansteuerte – bestkundig geführt von Goethehaus-Chefin Anne Bohnenkamp-Renken. Dass Goethe schon im Alter von vier Jahren mit der populären Geschichte des Dr. Johannes Faustus bekannt wurde, ist zwar nicht verbürgt, bekannt aber ist, dass Christopher Marlowes 1589 uraufgeführte Fassung des Stoffs (»Die tragische Historie des Dr. Faustus«) gang und gäbe auf Volksfesten war. Gockels anstehende Frankfurter Inszenierung, das schon mal vorweg, greift das Rummelplatz-Ambiente auf.
Das Puppenspiel ist freilich auch in Gockels Regisseur-Karriere fest verankert, früh angeregt und etabliert durch die enge Zusammenarbeit mit dem exzellenten Puppenbauer und Schauspieler Michael Pietsch. Die beiden fast gleichaltrigen Pfälzer (Gockel *1982, Pietsch *1984) kreierten schon vor ihrer professionellen Theaterlaufbahn gemeinsam Stücke im heimischen Wohnzimmer. Ihre erste große gemeinsame Produktion wurde Bertolt Brechts »Baal« im Jahr 2010 in Oldenburg, weitere Arbeiten folgten, insbesondere am Staatstheater Mainz, wo die Inszenierung »Grimm« (2013) über die vielseitige Hanauer Familie bundesweit Beachtung fand. 2017 gründeten die längst deutschlandweit gefragten Theatermacher das ihre Namen verballhornende Label »peaches & rooster«. In Frankfurt brachten sie Franz Kafkas »Die Verwandlung« im Kammerspiel und die gewaltige »Orestie« von Aischylos im Großen Haus zur Aufführung. Gockel, inzwischen Hausregisseur an den Münchner Kammerspielen, hat am Schauspiel Frankfurt überdies noch »Öl« inszeniert.
Mit der Kunst, aus totem Material etwas Lebendiges zu schaffen, das vom Publikum wider besseres Wissen emotional hoch besetzt wird, wollen »peaches & rooster« auch zur Spielzeiteröffnung verzaubern. Es ist die hölzerne Figur des alten Faust, die uns auf der Frankfurter Bühne an seiner Geschichte teilhaben lässt. Dazu will Gockel den populären, geläufigeren Teil der Tragödie als Vorspiel zu dem behandeln, was für ihn den wahren, eigentlichen Faust ausmacht. Erst im lange Zeit als völlig unspielbar betrachteten Faust II mutiert der kleinstädtische verzweifelte Gelehrte zu einem unersättlichen Global Player, der in seinem Teufelsritt durch die Welt und die Zeit zum Magier, zum Unternehmer, zum Staatenlenker, Broker, Bodenspekulant und Welteroberer wird. Zeitgenössischer als in Faust II, so findet Gockel, könne Theater nicht sein.
»Ich wünsche mir, dass die Leute aus dem Theater gehen und sich sagen: Ach, was ist der Faust II doch für ein geiles Stück!«. Auf die großen Zitate und die Gretchen-Szenen, so versichert der Regisseur, müsse trotzdem niemand verzichten.
Die Ausstatterin Julia Kurzweg, die zum festen Team Gockels gehört, wird Deutschlands größte Bühne in eine Erlebniswelt mit vielen Frankfurt-Momenten und einer mehrstöckigen Geisterbahn verwandeln. Mit dem Rummelplatz, auf dem das Stationen-Drama dann seinen Lauf nimmt, kehrt das Stück an den Ort zurück, an dem es der junge Goethe für sich entdeckte.
Ein Koloss, eine Monsterschau steht im Frankfurter Schauspielhaus zu erwarten, die Gockel sechs Wochen vor der Premiere zufolge bis zu vier Stunden dauern dürfte – und im Spielplan denn auch entsprechend früh angesetzt wird.
Neben dem alten Faust mit Michael Pietsch, sind Torsten Flassig, der den jungen Faust gibt, Caroline Dietrich den Euphorion, Wolfram Koch den Mephisto, Christoph Pütthoff den Kanzler, Lotte Schubert das Gretchen, Melanie Straub die Helena, Mark Tumba den Valentin mit und Andreas Vögler den Wagner, im Spiel. Und ein Besucher pro Vorstellung, der das Spektakel hautnah aus der Chaise der Geisterbahn miterleben wird.
Neben »Faust 1 & 2« gibt es am langen Eröffnungswochenende zwei weitere Premieren. Im Kammerspiel wird »Alle Zeit der Welt« von Wilke Weermann uraufgeführt, das sich um die Frage dreht: Was wäre (möglich), wenn morgen gestern wäre? Der Autor und Regisseur hat zuletzt mit seinem realfuturistischen »Unheim« in Frankfurt für Furore gesorgt.
Auf der großen Bühne inszeniert Sebastian Schug das Psychodrama »Szenen einer Ehe« von Ingmar Bergman. Die Bühnenadaption dieses Kultfilmes wurde mit Sarah Grunert und Isaak Dentler besetzt. Auch nicht schlecht.