Schauspiel Frankfurt: Lily Sykes legt das Absurde in Ibsens »Ein Volksfeind« bloß

Das fängt ja gut an. Das Schauspiel Frankfurt startet mit zwei Großmeistern des Theaters, Anton Tschechow und Henrik Ibsen, in die Saison 2022/23. Und nicht nur das: Auch die Wahl der Regie für »Onkel Wanja« (Jan Bosse) und »Ein Volksfeind« (Lily Sykes) lässt erwarten, dass den Theaterfans keine Klassikerdekonstruktionen ins Schauspielhaus stehen. Bosse hat hier zuletzt mit Shakespeares »Richard III« und »Jedermann (stirbt)« von Ferdinand Schmalz brilliert. Sykes, mit deren Arbeit wir uns im Folgenden beschäftigen, kehrt nach knapp zehn Jahren nach Frankfurt zurück.
In der ersten Phase der Reese-Intendanz am Frankfurter Schauspiel war die in London geborene Regisseurin zunächst Regieassistentin. Dabei gab sie schon Kostproben eigener Arbeiten wie die Simon-Stephens-Monologe »Terminal 5« mit Claude de Demo und »Die Steilwand« mit Isaak Dentler oder auch Simenons »Betty« mit Katharina Bach und Henrike Johanna Jörissen in der damals ausgiebig bedienten Spielstätte Box. Lily Sykes hat seither Karriere vor allem auf den deutschsprachigen Bühnen von Berlin über Zürich bis Wien gemacht. Mit »Ein Volksfeind« inszeniert sie in Frankfurt nun ein wenig zu ihrer eigenen Verwunderung ihren ersten Ibsen.
Ein passendes Stück zurzeit, wie sie findet, aber auch für das Frankfurter Ensemble. Es sei das unbedingte Verlangen eines »Weiter so«, die das 1882 verfasste Stück so brisant und auch aus heutiger Sicht aktuell mache, findet sie. Wie bei den Bürgern der norwegischen Kurstadt, die die Verseuchung ihrer (Wohlstands-)Quellen schlichtweg leugnen, so steht auch im Hier und Jetzt das individuelle Interesse eigenen Wohlergehens all dem entgegen, was eine bessere Welt, vielleicht sogar deren Rettung dringendst geböte, sei es unter dem Aspekt des Klimas, der Umwelt, der Menschenrechte, ja auch der Demokratie.
Ibsens wacker gegen die vom realpolitischen Bruder angeführte Mehrheit der Bürgerschaft kämpfender Wissenschaftler Dr. Thomas Stockmann ist in der Sicht Sykes zugleich ein starkes Votum für ein dringend gebotenes differenzierendes Denken, das nicht mehr auf nur eine Wahrheit zielt. Hier liege der Schlüssel zu dem, was Theater vermitteln könne: nämlich aufzeigen, dass es auch etwas anders geben kann. Das Zusammentreffen der offenkundigen Unfähigkeit, gemeinschaftlich zu denken, mit der wachsenden Erkenntnis, dass es so eigentlich nicht mehr weitergeht, schaffe absurde Situationen, mache (auch) Ibsens »Volksfeind« zu einer echten Farce.
Diese Komik will Sykes auch im Ablauf und auf der Bühne von Thea Hoffmann-Axthelm mit Shakespeare’schen und durchaus auch Klipp-Klapp-Elementen zum Ausdruck bringen. Türen spielen eine wichtige Rolle. Das Stück sei für sie eine Mischung aus Farce und psychologischem Drama über menschliches Verhalten, führt Sykes aus. »Alles Möchtegerns, keine Helden.« Werden die Leute lachen? Ich hoffe es sehr! Die Hauptrolle des Dr. Thomas Stockmann gibt das mit Heidi Ecks und Christoph Pütthoff inzwischen dienstälteste Ensemblemitglied, Sykes Steilwand-Protagonist Isaak Dentler. In Frankfurt trägt seine Figur den Bühnenkonflikt mit der Schwester Petra Stockmann als Bürgermeisterin aus, die von Caroline Dietrich gespielt wird. In den weiteren Rollen sind Stefan Graf (Aslaksen), Tanja Merlin Graf (Tochter), André Meyer (Kapitän), Sebastian Reiß (Billing) und Uwe Zerwer (Morton Kill) sowie als Gast Oscar Olivo (Hovstadt) zu sehen.

Winnie Geipert / Foto: © Thomas Aurin

Termine: 25. September 18 Uhr, weitere Termine im Oktober (2./5./9./13./15.)
www.schauspielfrankfurt.de

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