»Frei nach Cervantes« benennt sich die Bühnenversion von »Don Quijote«. Das dafür verantwortliche Regie-Duo Peter Jordan/Leonhard Koppelmann lässt gar nicht erst die Sorge aufkommen, ihre Inszenierung im großen Frankfurter Schauspielhaus könne der Werktreue verpflichtet sein. Sie machen das schon in der ersten Szene ihrer Fassung klar, die der Schauspielerin Christina Geiße in schwarzer Lackhose vorbehalten ist. Sie spiele hier das Pferd, tut sie schnaubend kund, als sprechende, ihren Bühnenpartnern aber unverständlich bleibende Rosinante.
Geiße macht das großartig, später verkörpert sie auch Dulcinea, die bei Cervantes immer nur eine Traumfigur bleibt, einen Boten und eine Jeanne d’Arc mit Windmühlenstandarte. Mit ihr auf der Bühne in diesem Drei-Personenstück sind der begnadete Komödiant Holger Stockhaus als Titelheld mit Dali-Bärtchen und Sebastian Reiß als Sancho Panza, König Philipp und – sprechender – Esel Grauohr. Vor der Breitwandkino-Kulisse einer Sandwüste mit einsamem Kaktus (Bühne: Stefanie Bruhn) und mit einem hispanischen Gitarrenakkord und Filmmusik in Gang gebracht scheint Ernsthaftes gar nicht erst aufkommen zu dürfen.
Da wird gestrauchelt, gestolpert und gestürzt, gestottert und gestammelt ohne Ende mit Gags und Gimmicks im Tempo amerikanischer Sitcoms, ganz nach dem Zerrbild, das gemeinhin herrschen mag vom Ritter von der traurigen Gestalt. Ein aus der Zeit gefallener kirrer Held, der als Wahrer der alten Ideale gegen Windmühlen und Schafherden kämpft, weil er sie für Riesen oder arabische Heere hält. Dass er dann auch noch der Leiche einer Oma den Arm abhackt, der später auf der Bühne landet, hat Frankfurt exklusiv.
Und dabei bleibt es nicht: Als Sancho Panza von einem Missverständnis redet, beginnt Don Quijote von einer »Miss Verständnis« zu schwärmen. Geht es noch doofer?, denkt man. Und schon wird aus Panzas »Ich seh‘ Sie nicht!« die soeben entschwundene Dulcinea nach Sesenich verfrachtet, dem Sehnsuchtsziel aller Einsamen uns Verzweifelten. Stockhaus versteht es, noch jede Albernheit als Kabinettstückchen der komischen Kunst aufzubereiten, dem man sich schwerlich entziehen kann. Mehr als eine Lachnummer ist sein Don bis dahin freilich nicht. Dass die Autoren immer mal wieder als kulturelle Schmeichelhäppchen Zitate von Hamlet, Schiller oder anderswem einstreuen, hebt nicht zwingend das Niveau.
Doch wie aus dem Nichts folgt die kopernikanische Wende des Stücks und der edle Ritter belehrt seinen Knappen, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Ein anderer Ton und eine andere Sprache ziehen nun ein. Der Auseinandersetzung mit dem Weltbild folgt schon bald die Auseinandersetzung mit der Welt und das große Verlangen, sie zum Guten zu verändern. Nicht mehr die Kirche und der König sind die Gegner des Don, nicht die große Ritterzeit das Ideal, Quijote will die Ausbeutung des Menschen und der Natur beenden und kennt kein Halten mehr als ihm in einer Vision eine Stadt mit Türmen die in den Himmel wachsen, und Bewohnern die sich an faulen Äpfeln delektieren, als Sitz des Bösen offenbart. Noch einmal zieht er in die Schlacht und lässt – herrlich filmisch vom Meike Fehre in Szene gesetzt – als spektakuläres revolutionäres Fanal sämtliche Windmühlen lodern.
Als Jeanne d’Arc unter der Windmühlenstandarte erscheint, weiß er endlich die Massen auf seiner Seite. Und mit diesen den Ruhm. Für Sancho Panza hat der entflammte Revolutionär nun keinen Platz mehr und überlässt es uns, historische oder aktuelle politische Schlüsse über Macht und Ermächtigung zu ziehen – von Saint-Just bis zur Letzten Generation. Mit König Philipp aber, der für den Enragierten nur ein Schmunzeln erübrigt, wird aus Don Quijotes mächtigem Sturm ein laues Lüftchen. Ganz wie das sich als Boulevard entpuppende Stück. Was folglich tun in einer Welt, die nur dem Irren Freiheit lässt?, fragen sich Don und die Seinen. Weiterspielen, was sonst! Sie haben ihre Sache gut gemacht.
Schauspiel Frankfurt zeigt eine »freie« Interpretation von »Don Quijote« mit Hintersinn
