»Ba-dum« hallt es plötzlich pochend durch das große Frankfurter Schauspielhaus. Und einen Herzschlag lang leuchtet es dunkelrot durch den schwarzen Bühnenvorhang im Eröffnungsakt von William Shakespeares »Ein Sommernachtstraum« wie aus dem Innern eines Brustkorbes. Dreimal geschieht das, immer dann, wenn die jungen Lysander und Hermia vom Wald reden, in den sie flüchten wollen aus der Verbotswelt der Erwachsenen. Es dauert nicht lang, dann okkupiert der von Elfen beherrschte Zauberwald die gesamte Bühne: ein Gestrüpp aus wirren Verästelungen und Geflechten, das uns – je nach Beleuchtung – als Vorhof des Herzens, als Abenteuerspielplatz im Indian Summer oder als ein mit Plastikmüll verhangenes Schiffwrack erscheinen kann.
Ein grandioses Bühnenbild mithin von Stéphane Laimé, das in starkem Kontrast zu der aseptischen Kälte einer herrschaftlichen Lebenswelt steht, in der Regisseurin Christina Tscharyiski die 1598 uraufgeführte Komödie beginnen lässt. Ganz in Weiß schicken sich zwei Bedienstete mit Feudel und Staubsauger auf marmornem Plateau ans Reinemachen und Polieren, ohne aber wie ihre Kollegen im Großen Gatsby, an die man sofort denkt, das Stück nun aus ihrer Sicht erzählen zu wollen. Sie leiten ein erstes Stelldichein von Shakespeares legendärem Handwerkertrupp ein, der in Frankfurt allerdings zur Dienerschaft am Hof des Theseus mutiert.
Ganz in Weiß erscheinen auch Herzog Theseus (Isaak Dentler), die sichtlich unwillig zur Hochzeit erkorene Amazone Hypolita (Anna Kubin) und der Bürger Egeus (Andreas Vögler), der Theseus aufsucht, über seine Tochter Hermia (Rhoki Müller) zu richten. Tod oder Kloster drohen ihr nun, wenn sie sich Vaters sturem Willen nicht beugt und dem jungen Demetrius (Miguel Klein Medina) verweigert. Sie aber flieht mit Lysander (Mitja Over) und wird vom Abgewiesenen und dessen verzweifelnder Ex Helena (Tanja Merlin Graf) verfolgt.
Athens Youngster tragen Unisex (Kostüme: Leonie Falke) in Rosétönen – Röcke, Schlipse und Hemden – als sie nichtsahnend in das triebwuchernde Reich des ränkeschmiedenden Elfenkönigs Oberon (Issak Dentler) und seines Faktotums Puck (Annie Nowak) ankommen. Der Kobold, in weiter Fellhose und einem engen knallroten Body, schert sich um Nichts und Niemanden, wenn er mit seinen Essenzen aus Blütenstaub die Sinne der Schlafenden verkehrt oder verzaubert sie gar gänzlich: Wieder erwacht sieht sich Hermia plötzlich verschmäht von den Jungs und Helena von deren Liebeswerben überhäuft. Noch schlimmer ergeht es dem zu den Lakaien gehörenden Chauffeur Zettel (Christoph Pütthoff). In einen Esel verwandelt wird er zum Objekt der Begierde von Oberons gleichfalls verzauberter Gattin Titania (Anna Kubin). Pütthoffs animalisches Pas-de-Deux mit Kubin ist grandios. Mit einem gewaltigen Schub ins Dämonische gleitend wirkt er verstörend und faszinierend zugleich. Und kein bisschen zum Lachen, so sehr man das auch tut.
Alles ist möglich im Reich entfesselter Leidenschaft, will uns Tscharyiski (mit Shakespeare) wohl sagen, auch wenn wir den rasant präsentierten Szenen nicht immer zu folgen vermögen. Das hat nicht nur mit der Phonetik zu tun, sondern wohl auch mit der inzwischen ortsüblichen zeitlichen Limitierung der Stücke auf unter zwei Stunden ohne Pause. Plausibel ist indes, dass die Regisseurin auf die finale Versöhnung samt Schlussakt verzichtet und adornitisch darauf beharrt, dass es im falschen Leben kein richtiges geben kann.
Annie Nowaks lustsprühender, in Oberon verliebter Puck als alles lenkender anarchische Kraftquell des Spiels steht im Mittelpunkt der Inszenierung. Dass Nowak einmal mehr singen muss – was sie es kann! – mag man dagegen unterschiedlich goutieren. Ungeteilt dagegen dürfte die Begeisterung über die Hoflakaien und ihre stümpernden Probe der Liebestragödie »Thisbe und Pyramus« sein. Von ihnen, Christoph Pütthoff (Chauffeur Zettel/Pyramus), Matthias Redlhammer (Peter Squenz), Peter Schröder (Franz Flaut/Thisbe), Melanie Straub (Schnock/Löwe) und Michael Schütz (Schnauz/Die Wand) hätte man gerne noch viel mehr gesehen.
Schauspiel Frankfurt zeigt Shakespeares »Ein Sommernachtstraum«
