Alle 15 Minuten erklingt der Boléro irgendwo auf der Welt, verkündet der Nachspann, und in der Tat ist der Boléro eines der populärsten Musikstücke überhaupt. Wenn man es zur Klassik zählt, dann ist es dort das wohl populärste. Dagegen ist dessen Schöpfer Maurice Ravel, der am 7. März seinen 150. Geburtstag feiern würde, ziemlich unbekannt (auch hierzulande). Dies zu ändern, hat sich die in Luxemburg geborene Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Anne Fontaine vorgenommen.
Im Paris der 1920er Jahre ist Maurice Ravel ein angesehener Komponist, als ihn die exaltierte Tänzerin und Produzentin Ida Rubinstein beauftragt, die Musik für ihr nächstes Ballett zu komponieren. Die Sache hat allerdings einen Haken: Der Komponist kommt nur langsam in die Gänge. Es dauert einige Zeit, bis er die erste Idee hat, und diesmal tut er sich besonders schwer. Er denkt an frühere Misserfolge, an seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg, zudem kündigt sich eine neurologische Störung an, die nach einer späteren Gehirnoperation sein Leben beenden wird.
Es sind also etwas mehr als die klassischen Genie-Probleme, die Ravel plagen, als er den Auftrag der Rubinstein erfüllen will. Denn um ein musikalisches Genie handelt es sich bei ihm allemal, zählt er doch neben Claude Debussy und Gabriel Fauré zu den berühmtesten Komponisten des Impressionismus, einer Stilrichtung, in der auch großartige französische Gemälde entstanden sind und die geradezu ein Inbegriff der französischen Kunst geworden ist.
Berühmte Männer, besonders wenn sie auch noch gut aussehen, wirken auf viele Frauen sexy. So umschmeicheln Ravel die eleganten Damen in den Salons der französischen Hauptstadt, die von jeher ein kulturelles Zentrum bilden. Der Film konzentriert sich auf drei Exemplare. Von Ida Rubinstein, die von der César-Gewinnerin Jeanne Balibar glänzend verkörpert wird, war bereits die Rede. Sie versucht, den schüchternen Komponisten mit ihrem reichlich vorhandenen Charme zu betören. Seine Scheu vor dem weiblichen Geschlecht scheint sie besonders anzustacheln.
Doria Tillier spielt, nicht weniger charmant, Ravels große Liebe, die unglücklich verheiratete Misia Sert, die einem Seitensprung vermutlich nicht abgeneigt wäre. Und Emmanuelle Devos überzeugt als verständnisvolle Pianistin, die erotische Gefühle nicht aufkommen lässt. Raphaël Personnaz gelingt es, Ravels Schwierigkeiten in Beziehungen zu Frauen einerseits und seine konzilianten Auftritte in den Salons andererseits glaubhaft darzustellen.
Der Film punktet mit der Schilderung einer eleganten Gesellschaft mit festgefügten Formen. Regisseurin Anne Fontaine, die Tochter eines Komponisten und Organisten, wollte nach eigenem Bekunden unbedingt einen Film über Tanz und Musik machen. Dabei konnte sie auf die Erfahrungen, die sie beim Dreh von »Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft« gesammelt hatte, gewinnbringend zugreifen. Sie beschreibt eine Zeit, die den Weltkrieg, von dem niemand wusste, dass es der Erste war, gerade überstanden hatte. Die Menschen erlebten die ausgehende Belle Epoche. Sensible Gemüter (wie Marcel Proust) ahnten, dass der Glanz bald verloren sein würde. Dass in dieser Zeit der Besuch einer Fabrik und die rhythmischen Geräusche der Maschinen dort den Ausschlag für einen langanhaltenden musikalischen Welterfolg gab und dass die entstandene, hoch erotische Musik von einem asexuellen Mann komponiert wurde, das ist eine Geschichte, die geradezu nach einer Verfilmung schrie.