Wenn es darum geht, Missstände in der amerikanischen Gesellschaft aufzudecken, ist Hollywood schnell dabei. Besonders kritisch schaut man auf das Fernsehen, das ja früher der bedrohliche Konkurrent für das Kino war. Als Roger Ailes wegen sexueller Belästigung seinen Job als Chef von Fox News verlor, wurde dies die Vorlage für den Spielfilm »Bombshell«. Doch der Fall Harvey Weinstein, der die #MeToo-Bewegung in Schwung brachte, war für die amerikanische Filmindustrie selbst eine Katastrophe.
Jetzt war einer der mächtigsten Filmproduzenten wegen fortdauernder sexueller Übergriffe angeklagt. Also mitten unter den vermeintlichen Tugendwächtern kam ein Skandal ans Tageslicht, der alles übertraf. Man musste schon in die Stummfilmzeit zurückgehen, als der Komiker Fatty Arbuckle auf die Schwarze Liste geriet, weil er bei einer wilden Party schuld am Tod eines jungen Starletts geworden sein sollte.
Der Fall Weinstein ist im Grunde ein idealer Filmstoff. Aber wer sollte die Regie übernehmen? Am besten eine Frau und möglichst eine Ausländerin, die keinesfalls irgendwie in die Geschichte verwickelt war. Maria Schrader bot sich an, nicht nur weil ihr Film »Du bist mein Mensch« für den Oscar nominiert und deshalb in L.A. bekannt war, sondern auch weil sie für ihre amerikanische Miniserie »Unorthodox« einen Emmy erhalten hatte.
Das Drehbuch der Engländerin Rebecca Lenkiewicz fußt auf den »New York Times«-Recherchen von Jodi Kantor, Megan Twohey und Rebecca Corbett sowie auf dem Buch »She Said: Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement« von Kantor und Twohey.
Das filmische Vorbild ist natürlich »Die Unbestechlichen – All The President’s Men«, Alan J. Pakulas Adaption eines Buches über die Watergate-Affäre. Damals spielten Robert Redford und Dustin Hoffman die beiden Reporter, jetzt tragen Carey Mulligan als Megan Twohey und Zoe Kazan als Jodi Kantor den Film. Dass dieser Chronik des Weinstein-Skandals die Star-Power fehlt, macht sich positiv bemerkbar. Denn die unverbrauchten Gesichter der Protagonistinnen verleihen dem Film eine besondere Intensität. Mit ihrem Anblick verbindet man sie nicht mit anderen Rollen. Und wie ihre Figuren im Film sind sie erst dabei, sich ihre Popularität zu erarbeiten.
Der Erfolg ihrer Recherchen hängt nämlich von handfestem Beweismaterial ab, und die Schauspielerinnen, Models, Produktionsmitarbeiterinnen und Sekretärinnen, die belästigt, zu sexuellen Handlungen erpresst – sie bekamen keinen Job mehr in der Filmindustrie, wenn sie Weinstein abwehrten – oder gar vergewaltigt wurden, wollen nicht namentlich genannt werden und erst recht kein Beweismaterial herausrücken. Zumal ihnen die beteiligten Anwälte keine Kopien ihrer erkauften Verschwiegenheitsversicherungen überließen. Auch beim Vertuschen hatte das Weinstein-Team ganze Arbeit geleistet.
Kurz erwähnt der Anwalt Lance Maerov (Sean Cullen) einmal die Besetzungscouch als Verführungsversuch von Schauspielerinnen, die eine Rolle haben wollen, doch die Menge der Vorfälle spricht bei Weinstein für einen pathologischen Fall, was auch der nicht ganz so unsympathisch gezeichnete Maerov zugeben muss.
Die Nachforschungen der Zeitung, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Magazin »The New Yorker« um die Erstveröffentlichung liefert, werden nach den erprobten Regeln Hollywoods spannend dargestellt. Schließlich hatte Universal Pictures die Produktion von »She Said« übernommen. Da kommt im letzten Moment die Einwilligung eines Opfers zur Namensnennung, und eine längere Frist für Weinsteins Verteidiger wird in einem Nervenkrieg abgelehnt.
Maria Schrader zeigt Weinstein lediglich einmal von hinten und keine seiner Schandtaten. Dafür gelingt ihr umso eindrucksvoller die Darstellung der psychischen Folgen, wenn eine Frau im Hotelflur zusammenbricht, nachdem sie Weinsteins Suite verlassen hat. Und sie lässt die Kamera von Natasha Braier etwas länger auf den Gesichtern der Reporterinnen verharren, um auch deren Erschütterung anzudeuten.
Mit »She Said« ist Schrader das verheißumgsvolle Regiedebüt eines amerikanischen Spielfilms gelungen. Es dürfte in Hollywood nicht ihr letzter Film gewesen sein.