»Solaris«nach Stanislaw Lem im Schauspiel Frankfurt

Zu Beginn dieses Abends geht ein gewisses Faszinosum von dem gesamtkunstwerkhaften Setting aus. Klangmächtig harte, metallisch-perkussive Schläge trennen die Bilder filmschnittartig, das Ensemble ist ballettartig formiert (von Valentí Rocamora i Torà), jedem ist ein mit einer Neonröhre versehener Mikrofonständer zugeordnet; ein Schlagzeuger treibt das harsche Tempo an. In raschen Bildschnitten Schlag um Schlag tun sich neue Teilgruppierungen auf. Wissenschaftler diskutieren in französischer Sprache (mit Übersetzung auf einer vorgehängten Gaze-Projektionsfläche), ein älterer Mann referiert die Geschichte der Entdeckung eines gallertartig sich ständig wandelnden, scheinbar »intelligenten« Ozeans auf dem Doppelsternplaneten Solaris, der mit den Menschen, den Raumfahrern sein fintenreiches Spiel treibt.
Weit aufgerissen ist Fabian Wendlings schwarzer Raum zu Christian Friedels Inszenierung des vom Theater schon häufig aufgegriffenen Science-Fiction-Klassikers »Solaris« (1961) von dem polnischen Schriftsteller Stanislaw Lem (1921–2006) am Frankfurter Schauspiel. Friedel, als Schauspieler zuletzt zu sehen in der Rolle des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß in Jonathan Glazers »The Zone of Interest«, bringt Lichtdesign, eine zwischen Artpop und Techno oszillierende Musik aus dem Off von seiner eigenen Band »Woods of Birnam« sowie chorischen Gesang, Tanz und Drehbühnenkonstruktion zu einem Ganzen zusammen, dass die Konventionen des szenischen Realismus hinter sich lässt. Das erscheint im ersten Moment nicht uninteressant.
Rasch indes wird eine Fallhöhe offenbar. Dann nämlich, wenn die Inszenierung sich unmittelbarer auf die Figuren und Dialoge einlässt – soweit sie das tut. Entgegen dem popularmythischen Raumfahrerklischee hat Ellen Hofmann das Personal in einem zivil-bürgerlich/konservativen Chic gekleidet. Der Psychologe Kris Kelvin – im Wechsel Michael Schütz, Miguel Klein Medina, Anna Kubin und Lotte Schubert – ist auf Solaris entsandt, um den seltsamen Kräften, die dort wirken auf den Grund zu gehen. Die Forscher der Raumstation sind bereits arg angefressen von dem Spuk um den »denkenden« Ozean; die Kommandantin der Mission hat sich gerade umgebracht. Offenkundig hat die extraterrestrische Lebensform Zugriff auf die Träume und die Erinnerung der Menschen und konfrontiert sie im Wachzustand damit. Sie sehen sich konfrontiert mit Doppelgängern, alsbald erscheint Kelvin seine vor Jahren suizidal aus dem Leben geschiedene Frau Harey – Christoph Bornmüller, Torsten Flassig, Annie Nowak. Ungewiss, was das mysteriöse Phänomen im Sinn hat, Kontaktaufnahme, Abwehr, oder schlicht eine psychologische Spiegelung.
Sonderliches Interesse an den Figuren entwickelt Christian Friedel allerdings nicht, und so kommt in den Dialogen ungeachtet des gewaltigen Gesamtarrangements nicht mehr als eine hüftsteife Art von Stadttheater heraus, durch dessen Szenen derzeitiger Theatermode nach eine Sängerin – in elfischer Gestalt: Annabel Möbus – streift. Im Übrigen: Wer den Roman nicht kennt, dürfte es schwer haben – ein Manko.
So verliert sich diese monumentale Bildertheaterrevue, die in ihrem mächtigen Aufwand an ein Musical oder auch ein Popkonzert im Stadion erinnert, am Ende zu sehr in ihrer Form. Der anfängliche Reiz trägt nicht über die zwei Stunden hinweg, sondern bleibt einer der Oberfläche. Theater als Triumph des Designs – das genügt dann eben doch nicht.

Stefan Michalzik / Foto: © Thomas Aurin
Termine: 10., 21., 26. Juni, 19.30 Uhr; 19., 29. Juni, 18 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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