Spaß am Zündeln – »Alle hassen Johan« von Hallvor Witzø

In Actionfilmen wird so manches in die Luft gesprengt. Aber in einem Arthouse-Film? Wenn, dann müsste er aus dem Norden Europas stammen, könnte man vermuten. Und tatsächlich kommt dieses Spielfilmdebüt von Halvar Witzø aus Norwegen. Bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck und dem Europäischen Filmfestival Göttingen, beide Ende 2022 und im nördlichen Teil Deutschlands, hat die originelle Lebensgeschichte eines Dynamit-Begeisterten sogar einen Publikumspreis gewonnen.

Auf der norwegischen Insel Frøya wird Johan Grande im Jahr 1943 geboren. Im Zweiten Weltkrieg ist das Land vom deutschen Militär besetzt, dem Johans Eltern (Paul-Ottar Hagen und Ine F. Jansen) das Leben so schwer wie nur irgend möglich machen. Um dessen Vormarsch oder Nachschub zu stoppen, sprengen sie auf eigene Faust Brücken in die Luft. Dass sie dabei auch dem organisierten norwegischen Widerstand in die Quere kommen und eine Brücke zu viel sprengen, stört sie nicht sonderlich, macht sie aber endgültig zu unbeliebten Außenseitern im Dorf.
Schon dieser Einstieg adelt »Alle hassen Johan« auf besondere Weise. Denn burlesk vom Zweiten Weltkrieg zu erzählen, ist heutzutage ungewöhnlich. Widerstandskämpferinnen, die Spaß am In-die-Luft-Sprengen hatten, habe ich vor sehr vielen Jahren in Louis Malles »Viva Maria!« gesehen (da waren es Brigitte Bardot und Jeanne Moreau, und es ging um Irland).
Man kann also sagen, dass Johan erblich belastet ist. Schon in jungen Jahren kann er das Zündeln nicht lassen, auch nicht, als seine Eltern bei einer Sprengung ums Leben kommen. Die Freude an Explosionen, die wir aus dem Chemie-Unterricht kennen, lebt in ihm ungehemmt weiter. So hat Johan auch die Außenseiterrolle seiner Eltern übernommen. Im ländlichen Norwegen kenne jeder jeden, es gebe uralte Konflikte, »die über Generationen hinweg vererbt werden, und bei denen niemand mehr weiß, wie alles begann«, heißt es in den Anmerkungen des Regisseurs, der selbst in diesem Milieu aufgewachsen ist.
Im Film erzählt uns Johan sein Leben bis ins Jahr 1993 in vier Kapiteln. Seine Kindheit und Jugend verbringt er bei Onkel (Trond-Ove Skrødal) und Tante (Ingunn Beate Øyen). »Keiner mochte uns«, sagt er. Dennoch schenkt ihm die kleine Solvor den ersten Kuss seines Lebens. Auch sie lässt sich fürs Zündeln begeistern und landet durch eine Unüberlegtheit im Rollstuhl. Fortan ist Johans Leben schwer belastet. Er wird in den USA ein erfolgreicher Sprengmeister und kehrt als vermögender Hüne zurück.
Drei Darsteller und ein Baby benötigt der Film für die Figur, doch Pål Sverre Hagen, dieser Hüne von einem Norweger, der den Rückkehrer mimt, bleibt einem im Gedächtnis. Eigentlich scheint er so gut zu den den rauen Fjorden passen. Aber bei den Dörflern ist er unbeliebter als zuvor. Sie denken an seine Eltern, denen man abspricht, dass sie Widerstandskämpfer waren, und an das Schicksal der entstellten Solvor, die er noch immer zu lieben glaubt und die ihn mittlerweile hasst (oder doch nicht?). Jedenfalls geht ein Speed-Dating hinterm Vorhang krachend schief – zur Freude der anderen. Nur mit der Vietnamesin Pey (Vee Vimolmal) kann der geächtete Einzelgänger ein kurzes Glück genießen. Und ohne sein treues Pferd Ella wäre er längst gestorben, gesteht er.
Eine Menge Stimmungen hat Drehbuchautor Erlend Lo in seinen Protagonisten gepackt. Naive Unbekümmertheit wechselt mit Nachdenklichkeit, Optimismus mit Traurigkeit. Regisseur Hagen stellt tragische neben schwarzhumorige Momente. Und die großartige Natur, die so abweisend sein kann wie die Menschen, die in ihr leben, bildet den Hintergrund in diesem ungewöhnlichen Film.

Claus Wecker / © Kairos Filmverleih
>> TRAILER
Alle hassen Johan (Alle hater Johan)
Komödie von Hallvar Witzø, N 2022, 93 Min.
mit Pål Sverre Hagen, Ingrid Bolsø Berdal, John Brungot, Paul-Ottar Hagen, Trond-Ove Skrødal, Ingunn Beate Øyen
Start: 04.04.2024

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