Bemerkenswert, dass sich die Theater auf dieses Stück nicht reihenweise stürzen. Die Geschlechtergrenzen geraten fortwährend ins Wanken, wie überhaupt der Begriff des »Normalen«. Männer in Frauen-, Frauen in Männerkleidern, ein großes Durcheinander. Schmal das Werk des englischen Dramatikers Joe Orton, sieben Stücke nur, drei abendfüllende darunter; die Uraufführung des letzten, »Was der Butler sah«, 1969 in London hat er nicht mehr erlebt, zwei Jahre vorher hatte sein eifersüchtiger Lebensgefährte ihn mit acht Hammerschlägen umgebracht, 34 Jahre war er da alt. Die Übersetzung, die am Darmstädter Staatstheater gespielt wird, stammt von René Pollesch, dem im Februar plötzlich verstorbenen Intendanten der Berliner Volksbühne. Für den dürfte diese Farce eine helle Freude gewesen sein. Theater außer Rand und Band, wenngleich von einer anderen Art als Polleschs eigene Stücke.
Der Behandlungsraum des Direktors einer Nervenklinik, es geht zu wie im Irrenhaus, obwohl nicht ein einziger der Insassen involviert ist. Für Andreas Merz‘ Inszenierung haben Sonja Füsti und Veronika Bleffert eine Boulevardbühne mit herabfallender Treppe entworfen, das Mobiliar im Stil der sechziger Jahre wirkt hübsch angeranzt. Das Terrain ist bereitet für Turbulenzen wie das plötzliche Auftauchen von in Bedrängnis bringenden Autoritäten, oder auch für ein vertuschendes Verbergen.
Den Stein ins Rollen versetzt eine sexuelle Übergriffigkeit des altherrengeilen Direktors (Jörg Zirnstein) bei einem Bewerbungsgespräch mit einer jungen Sekretärin (Aleksandra Kienitz). Glücklichblöderweise schneit Gabriele Drechsel als resolute Ehefrau des Direktors in alterskokett blondgelockter Perücke dazwischen. Die Affärenwütige hat selber was zu vertuschen und wird von einem sexualstrafwürdigen Hotelpagen (Sebastian Schulze) mit pornografischen Fotografien erpresst. Eine lachhafte Autorität von einem Inspektor (Florian Donath) erklärt die Sekretärin zur Irren und wittert überhaupt den Wahnsinn in jedermann – außer in sich selbst, dessen Obsession ein markantes Anzeichen dafür hergibt. Ein ältlich-trotteliger Sergeant auf Fahndung nach Winston Churchills Penis (Hubert Schlemmer) wird mit hineingezogen in eine Lawine von Täuschungen und Verwirrungen.
Joe Orton, als offen schwul lebender Mann im England seiner Zeit durch den Schmutz gezogen, hat der Gesellschaft mit ihrer Doppelmoral sie spiegelnd einen anarchischen Stinkefinger gezeigt. Ein spielerisches Feingefühl zeichnet diesen Abend aus, mit einer umwerfenden, äußerst disziplinierten und präzise getimten Komik der Situation. Da wird dick aufgetragen, aber eben nicht zu dick; so etwas will gekonnt sein, und hier ist jeder trittsicher, quer durchs sechsköpfige Ensemble.
Das Stück ist eine Ausgeburt der Subversion; vor allem ist es der Begriff des »Normalen«, der infrage gestellt wird. Manches an seinem Humor wirkt zwar so altertümlich wie das Mobiliar, doch in Darmstadt schafft man es, dass selbst ein kneipenspruchhafter Gag zum Lacher ohne Ruch eines Amüsements der unterirdischen Art taugt. Ein großer Spaß. Eine Vergewaltigung als auflösende Lachnummer hin zum überzeichnend romantischen Komödienschluss – heute nicht mehr denkbar. Bei einem historischen Stück muss man derlei aushalten.