»Ikona – Heilige Frauen« im Museum für Angewandte Kunst

Golden leuchtende Ikonenmalerei an sanftfarbenen Wänden, dezente Musik mit sakraler Anmutung, kostbar gesetzte Lichtspots – fehlt eigentlich nur noch der Weihrauch, könnte man denken, dann wird’s gleich völlig klerikal. So betritt man die neue Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, IKONA, und dann ist alles doch – anders.
Nicht die herabgewirtschaftete »Ikone«, sondern jetzt also: IKONA breitet schützend ihre Hände aus über einen ganz besonderen Aspekt der Darstellung von Weiblichkeit in der Kunst. Ganz selbstbewusst wird hier die feminine Form gewählt, um einer Schau den Halt zu geben, die in ihrer Form erstmalig ist: Drei Ikonenmuseen, in Frankfurt, in Recklinghausen und in Kampen in den Niederlanden, haben 78 Exponate von weiblichen Heiligen des orthodoxen Christentums aus fünf Jahrhunderten und sieben Ländern zusammengeführt. Man könnte sie jetzt einfach abschreiten und betrachten, aber halt, das wird nicht so richtig gelingen, denn die Frauen blicken zurück. Sie blicken den Betrachter an.
Mehrere Spuren sind in dieser Ausstellung gelegt. Die Verehrung der weiblichen Heiligen spiegelt auch gesellschaftliche Muster wider. Auf den Ikonen sind neben Eva und Maria – als ihr Gegenentwurf – auch Herrscherinnen, Klostergründerinnen, biblische Figuren und Märtyrerinnen dargestellt, also durchaus auch Frauen in Machtpositionen. Und da ist zum anderen die orthodoxe Kirche, die durch ihre Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent dem sakralen Kanon einen neuen Fundus an Legenden und Biografien hinzugefügt hat.
Mit der Maria von Ägypten als bedeutsamster Figur in der Ostkirche wird eine nicht-binäre Gestalt verehrt, eine Frau, die sich mit ihrem Körper als Prostituierte in Alexandria eine Überfahrt zu heiligen Stätten erkaufte, um sich dort ihres Körpers quasi zu entledigen: dargestellt wird sie, gekleidet in ein bloßes Tuch um die Hüften, als brustlos. Einer anderen Heiligen ist über Nacht ein Bart gewachsen.
So, und nun spätestens hier hat die Schau die wichtigste Leimspur ausgefahren: die Geschichten. Und spätestens hier wird man ganz nah an die Ikonen herantreten und in ihnen lesen wollen. Und das ist eigentlich nicht schwer. Weder Farben, Gestik noch Blicke und Symbole waren dem Zufall überlassen, sie blieben gleich. Gedacht waren die Heiligenbilder ja auch für des Lesens Unkundige. Das fällt schon beim ersten Bild auf, das in die Ausstellung einführt: Allerheiligen, einer Ikone aus Russland aus dem 17. Jahrhundert. Man sieht den Abstieg von Jesus in den Hades, wo er Adam und Eva aus ihren Gräbern befreit, und daneben eine Gruppe von Märtyrerinnen, Nonnen und Asketinnen. Auch eine Mutter mit ihrem Kind ist darunter, Julitta und Kirik, die auf eine Märtyrer-Geschichte aus dem 6. Jahrhundert fußt und in Russland verbreitet war. Man wird ihnen auf einer weiteren Ikone aus dem 19. Jahrhundert wieder begegnen.
In acht Kapitel ist diese Schau gegliedert, und sie versteht sich durchaus als Verfechterin weiblicher Exzellenz in der sehr stark von patriarchalen Richtlinien geprägten Welt der Ostkirche. Die Biografien, die mit den Dargestellten verbunden sind, beruhen nicht auf nachweisbaren Daten, sind oft von Legendengespinsten umwoben, vermischen sich mit Gehörtem und Erzähltem. Eva, Maria, Frauen des Neuen Testament, darunter die einzige Prophetin, Hanna, Nonnen und Eremitinnen, Herrscherinnen, Helferinnen und Heilerinnen, z.B. Photina und Fevronija und schlussendlich Sophia als Trägerin der Weisheit Gottes werden in immer wieder neuen Zusammenhängen gezeigt. Sophia, die in jüdischer und gnostischer Tradition weiblich ist, erscheint auch als geflügelte Engelsgestalt. Auf weiteren Ikonen ist Sophia als Mutter zusammen mit ihren drei Töchtern dargestellt. Das Motiv der Maria Magdalena und auch der heilenden Frau, die von Jesus gesehen und sich zur Gläubigen wandelt, fließt in das Bild von mehreren Heiligen ein. Dass Herrscherinnen zu Heiligen ernannt wurden, ist Folge der ihnen zugeschriebenen Rolle bei der Verbreitung des Christentums.
Die örtliche Zuordnung sei nicht immer einfach gewesen, sagt die Kuratorin Konstanze Runge. Ein mit »Russland« als Herkunftsland ausgewiesenes Bild kann beispielsweise sehr wohl der Ukraine zuzuschreiben sein, ein Spiegel der von Kriegen, Teilungen und Unterwerfungen geprägten, bitteren Geschichte dieses Landes. Das jüngste Heiligenbild entstand im Jahr 2023 in Bethlehem und zeigt eine arabische Nonne.
Und an diesem Punkt hätte eine weitere Fragestellung aufgegriffen werden können, auf die der Direktor des Museums Matthias Wagner K. in seinem einleitenden Kommentar hingewiesen hat: In Russland ist die Zahl der Femizide sehr hoch. Das Bild der Frau in der orthodoxen Kirche, die sich unverdrossen an die Seite Putins stellt, ist extrem repressiv. Unter welchem Aspekt nun sind diese weiblichen Ikonen zu betrachten? Als Trägerinnen weiblichen Widerstands? Der Kontext der Ausstellung stellt lediglich klar, dass es sich oft um ungewöhnlich gebildete Frauen handelte.
Ikonen hängen in Kirchen, aber sehr wohl auch in privaten Haushalten. Die Gläubigen pflegen eine direkte Kommunikation mit ihnen, man spricht mit ihnen, man besprengt sie mit Weihwasser, ja – und man beerdigt sie aber auch.

Susanne Asal
Foto: Maria von Ägypten mit vier Szenen aus ihrem Leben; Russland, um 1800, Ikonenmuseum Frankfurt, Foto: Georg Dörr, © Museum Angewandte Kunst
Bis zum 19. Januar 2025: Di., Do.–So., 10–18 Uhr; Mi., 10–20 Uhr
www.museumangewandtekunst.de

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