Staatstheater Mainz zeigt »Jupiter brüllt – Der lange Weg zum Glücksplanet«

Jeder, so weiß bei uns der wirtschaftsliberale Volksmund, ist seines Glückes eigener Schmied. Folgt man der Stückeschreiberin Annika Henrich, dann haben es sich der gemeine Azteke und die gemeine Aztekin in ihrer Glanzzeit wesentlich einfacher gemacht. Im Prolog ihres nun am Staatstheater Mainz uraufgeführten »Jupiter brüllt – Der lange Weg zum Glücksplanet« ist zu erfahren, dass diesen ein simples tägliches Menschenherzopfer für ihren Sonnen-, Kriegs- und Glücksgott Hochtlipochtli genügte, um am nächsten Morgen verlässlich das Glück wieder aufgehen zu sehen. Alle happy, doch statt Nina Simones »It’s a new dawn, it’s a new day, it’s a new life« hat die für den Sound zuständige Evelyn Saylor aus der Crew von Regisseur Ran Chai Bar-zvi das Richard-Strauß-Intro aus Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« gewählt – in einer ziemlich vermurksten Version. Was Böses ahnen lässt. Leonard Mandls Bühne im U17-Keller des Hauses wird von einer meterhohen drehbaren Scheibe dominiert, die als Projektionsfläche genutzt, über die meiste Zeit unseren Glücksstern Jupiter zeigt, oder wenn man sie umdreht, zum Cockpit eines Raumschiffs wird.
Auf dem langen Weg zum Glück sind die Menschen zwar seit es sie gibt, aber nie so bewusst und cool wie die jeweils angesagte neue Generation. Henrichs Stück stellt ganz wesentlich die zwischen 1980 und roundabout 1994 gezeugten Millennials auf den Prüfstand, die Sinn und Erfüllung im Leben suchende Generation Y, der auch die Autorin angehört. In drei sich teils verwebenden Erzählstrecken verfolgen wir, vom immer wieder kommentierenden »Chor der Millennials« (alle) und dem als Enfant Terrible dauerpräsenten Kollegen Johannes Schmidt begleitet, a) die Karriere einer euphorisiert in das Berufsleben tretenden Assistentin (Antonia Labs), b) den Weg des von seiner Überfrau Katja (Katharina Uhland) zum Coach gecoachten Ex-Buchhalters Martin (Holger Kraft) und c) die beiden Raumfahrt-Azubis Stella und Bobby (Olivia Salm, Carl Grübel), die sich im Anflug auf den Jupiter wähnen, aber plötzlich nicht mehr sicher sind, ob sie jemals wirklich abhoben oder nicht gar Teil eines Experiments sind. Gibt es Stubenfliegen im All? Und wie kommen sie in die Kapsel?
In einer ziemlich losen und gut unterhaltenden Folge von witzig- bis aberwitzigen Szenen handelt »Jupiter brüllt« viele der gängigen Themen um ein erstrebenswertes Verhältnis von Arbeit und Privatleben ab: die To Dos und No Gos, wie vom Work-Life-Balance-Ramschtisch der Bahnhofsbuchhandlung gegriffen, aber es geht auch um Sehnsucht nach Nähe und Angst vor Einsamkeit, um die Lücken eben, die das große Streben in jeder der Figuren aufreißt.
Auch wenn es der nächsten, noch viel kritischeren Generation Z »sowas von 2012« vorkommen mag, stürzt sich die Assistentin für ihre Start-up-Company mit Verve auf die unbezahlte Extrameile, die da gefordert ist. Für eine Firma, in der nicht mehr Einer befiehlt und Fünf die Arbeit machen, sondern fünf Chefs das Sagen haben darüber, was sie, die Praktikantin, zu tun hat. Dass die namenlos Bleibende – Labs spielt das hinreißend – verzweifelt beim »Liebe-was-du tust«-Coach Martin landet, wundert nicht. Nur will der selbst nicht sein, was er unter der Knute seiner als Therapeutin erfolgreichen Frau geworden ist. Losgelöst von solch irdischen Problemen üben sich die Jungastronauten im Ratespiel: Ist es größer als ein Hase? Ihre Existenz im Nowhere des Unwissens ist schlechthin rührend. »Zukunft ist nur endlose Gegenwart«, sagt die Assistentin im Gespräch mit einem Alkoholiker (Schmidt).
Nachgerade ernüchternd mündet die mit viel Musik aus allen Sparten servierte Szenenschau in einem an das Publikum gerichteten mächtigen Aussteiger-Plädoyer Martins. »Bringen Sie das System durch Untätigkeit zum Einsturz!« appelliert er gegen Ende an das Publikum, ohne dass man genau weiß, warum. Wenn das die Conclusio des Stücks sein soll, hätte er doch besser selbst damit angefangen. Da wäre weniger doch viel mehr gewesen.

Winnie Geipert
Termine: 1., 6. April, 20 Uhr
www.staatstheater-mainz.com

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