Staatstheater Wiesbaden: Ersan Mondtag inszeniert »Double Serpent«

Technohousebeats von einem DJ unter den Arkaden vor dem Eingang des Wiesbadener Staatstheaters: Schon dieses Setting beim sieben Posten an verschiedenen Orten der Stadt umfassenden Premierenwochenende zur Spielzeiteröffnung darf man als Signal für einen frischen Wind unter der gerade angetretenen Doppelspitze Dorothea Hartmann und Beate Heine nach dem unrühmlichen vorzeitigen Ende der zehnjährigen Intendanz des theaterästhetisch eher konservativ eingestellten Uwe Eric Laufenberg lesen. Im Musiktheater ein Schlüsselwerk des zwanzigsten Jahrhunderts, Ligetis »Le Grand Macabre«, im Sprechtheater unter anderem die Uraufführung eines Auftragswerks des queeren jungen New Yorker Dramatikers und Regisseurs Sam Max: da zeichnet sich ein zeitgenössischerer Ansatz ab, nicht zuletzt auch in Sachen Diversität.
Vor drei Jahren war Sam Max mit »Coop« zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen worden, im Frühjahr hatte er mit »Wüste« am Deutschen Theater in Berlin erstmals eines seiner Stücke in Deutschland inszeniert. In Wiesbaden indes hat Ersan Mondtag Regie geführt. »Double Serpent« spielt unter schwulen Männern, das Motiv jedoch ist kein spezifisch queeres. Es geht um Verletzungspraktiken in Partnerschaften. Die sind einem weitreichenden heutigen Konsens (jedenfalls im liberalen Teil unserer Gesellschaft) unter dem Vorzeichen der Einvernehmlichkeit in Ordnung. Das Stück wirft ein Licht auf psychologische Hintergründe.
Immer wieder schreiten die Figuren eine geschwungene, in einem Rundbecken aufgehende Treppe in der von Alexander Naumann entworfene Badehalle im Art-déco-Stil herab. In einer Ecke ein Zigarettenautomat vordigitaler Bauart, an anderer Stelle ein Küchenaufzug: das ist entschieden ein Kunstraum fern eines szenischen Realismus. Der ins Surrealistische getriebene Ansatz erscheint triftig für diesen Text, in dem sich die Ebenen von Zeit und Erinnerung, Traumata und Reinszenierung überlagern.
Es handelt sich, charakteristisch für Ersan Mondtag, um eine Ästhetik der Stilisierung; die Kostüme von Teresa Vergho, etwa ein roter Lederanzug mit kurzen Hosenbeinen für Connor, die Hauptfigur, sind popkulturell codiert und geeignet, Assoziationen etwa an eine Graphic Novel zu wecken. Nachdem Missbrauchsvorwürfe laut geworden sind gegen Felix (Lasse Boje Haye Weber), einst Kinderstar in einem »Kultfilm« und heute ein erfolgreicher Filmproduzent, erschüttert das die bis dahin wohl glückliche Beziehung mit dem erheblich jüngeren Connor (Timur Frey), den Zweifel an Felix‘ Unschuld umtreiben. Der Vorwurf von Felix‘ Ex-Freund geht dahin, dieser habe ihm wider Willen Schnittverletzungen beigebracht. Im Übrigen kommt ans Tageslicht, dass der Adoptivvater von Connor (in Metzgerschürze: Felix Strüven) Organe bei Kindern aus Migrantenfamilien gegen wenig Geld entnommen hat, um sie bei Reichen einzusetzen. Um der Geheimhaltung willen hat er Connor im Keller isoliert und mit dem Computerspiel »Double Serpent« ruhiggestellt.
Das Stärkste an diesem Zweistundenabend sind ausgerechnet die zum Teil animierten Videobilder von Luis August Krawen, besonders jenes, in dem Connor einen der Imagination entsprungenen Freund (Jonas Grundner-Culemann) in geschrumpfter Gestalt auf seine Zunge legt, auf dass der einen Weg durch Speiseröhre und Gedärm macht. Zweifelhaft indes der zwei schleppende Stunden ohne Pause dauernde Abend im Ganzen. Das Theater tut ja gut daran, sich einer spektakulären Aufladung des Gewaltmotivs zu enthalten. Auch eine Dramaturgie der Diskretion und der quasi choreografischen Bewegung in Langsamkeit jedoch bedarf einer inneren Gespanntheit. Hier wirkt alles zäh, ohne szenische Kraft.

Stefan Michalzik / Foto: © Thomas Aurin
Termine: 31. Oktober, 2., 20., 22., 27. November, 19.30 Uhr; 17. November, 18 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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