Einzigartig und unwiederbringbar: Jeder kleinste Moment im zeitgenössischen Tanz ist ein singuläres Erlebnis. Mousonturm-Managerin Anna Wagner sieht in der Flüchtigkeit des zu Erlebenden eine wesentliche Qualität der Kunstform Tanz. Eine Qualität, der das Tanzfestival Rhein-Main unter dem Motto »In the Blink of An Eye« in Darmstadt, Frankfurt, Offenbach und Wiesbaden vom 31. Oktober bis zum 17. November mit 24 Produktionen, neun Deutschland-Premieren und vier Uraufführungen Rechnung ebenso tragen will, wie jenen »Kippmomenten« des Lebens und der Kunst, in denen sich alles verändern kann.
»Spotlight«-Künstler der neunten Ausgabe des Tanzfestivals ist das französische Ensemble Collectif FAIR-E mit drei Arbeiten, zu denen auch das im Darmstädter Staatstheater stattfindende Eröffnungsstück »Témoin« (Zeuge) des Choreografen und Breakers Saïdo Lehlouh gehört. Dessen Tanzsprache speist sich aus zeitgenössischen urbanen Tanzstilen des Hip-Hop, die er weiterentwickelt hat und in »Témoin« mit 20 Tänzern und Tänzerinnen zum explosiven Ausbruch bringen will. Im Frankfurt LAB zeigt die Gruppe die Choreografie »One Shot« (12.11.) des 2020 verstorbenen House-Pioniers Ousmane Sy und in Wiesbadens Wartburg das als »eigensinniges Regie-Debüt der Waacking-Legende Mounia Nassangar« angekündigte Stück »STUCK« (13.11.). Alle drei Stücke sind nur einmal zu sehen.
Sehr präsent werden in diesem Jahr Künstler*innen mit Behinderung sein. Wie der in Schottland lebende Australier Marc Brew, dem sich das Festival-Motto aus ganz eigener Perspektive erschließt. Der nach einem Autounfall querschnittgelähmte Künstler ist nicht zum ersten Mal beim Tanzfestival, macht den traumatischen Schicksalsschlag nun allerdings gemeinsam mit dem belgisch-marokkanischen Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui zum Thema. »An Accident/A life« titelt das autobiografische Stück, in dem Brew sich unter ein schwebendes Auto begeben wird. Die Produktion iwird erstmals in Deutschland (9./10.11) im Wiesbadener Staatstheater gezeigt.
Wie Brew, so gastierte auch die sich mit Krücken bewegende Performerin Claire Cunningham schon öfter im Rhein-Main-Gebiet. Ihre neue Arbeit »Songs of the Wayfarer« ist von einem Liederzyklus Gustav Mahlers inspiriert und konfrontiert die Pionierin der Disability Arts im Mousonturm als »fahrende Gesellin« mit Bühnen- und Naturlandschaften. (3., 4., 5.11.). Mit der Berlinerin Angela Alves (»Soft Offer«, 8./9.11., Mousonturm) und dem brasilianischen Tänzer Marcos Abranches (»Avessos«, 10.11., Kammerspiele Darmstadt) weist das Programm zwei weitere weithin bekannte vertreter der Disability Arts aus.
Ein Highlight des Festivals sollte die spektakuläre Performance »Mont Ventoux« des spanischen Kollktivs Kor’sia werden, das an Francesco Petrarcas im Jahr 1336 verfassten Bericht über die Besteigung dieses Berges anlehnend, mit einem »hypnotisch multimedialen Auftritt« die Geschichte des Kolonialismus verfolgt. Ungewöhnlich dürfte mit Sicherheit auch die dreistündige Performance »Mike« von Dana Michels im 31. Stock des Offenbacher City-Towers, die man im gestellten Rahmen ganz nach gusto wahrnehmen kann. Weiter zu Gast sind die Company Rebecca Weingartner, Zoe Schreckenberg,, Maciej Kuzminski, Aurora Bauzà & Pere Jou, María del Mar Suárez & La Chachi, Kemelo Nozipho Sehlapelo, Fabrice Mazliah und Jennifer Dubreuil Houthemann.
Auch »Broken Bob« die neue Inszenierung des Hessischen Staatsballets, wird während des Festivals gezeigt. Ihr Titel vereint die jeweils uraufgeführten Choreografien »I am Bob« von Imre & Marne van Opstal, und »Broken Sense of Beauty« von Xie Xin. (s. Seite 11).
Erstmals involviert ist die Junge Theaterwerkstatt im ehemaligen Fritz-Rémond-Theater am Zoo mit gleich sieben Stücken für junges Publikum, die wir auf der Familienseite vorstellen. Der große Tanztag mit zahlreichen Workshops und Schnupperkursen unter Mitwirkung von Tanzschulen, Vereinen und einzelnen Künstler*innen aus der Region ist auf den 16. November datiert.