Staatstheater Wiesbaden: »Unser Erbe: Tax me if you can« von Helge Schmidt sorgt sich um die gerechte Verteilung von Wohlstand

Gesellschaftlich wird das Thema Erben, mithin die gerechte Verteilung von Chancen und Wohlstand seit einigen Jahren verstärkt diskutiert, auch die Theater haben es schon vielfach aufgegriffen. Hochaktuell – und in diesem Heft (Seite 16) besprochen – die von Ute Bansemir für das Ensemble der theaterperipherie inszenierte Diskurskommödie »Jeeps« von Nora Abdel-Maksoud, die in der Regie von Jessica Weisskirchen auch am Staatstheater in Darmstadt zu sehen ist und an den Münchner Kammerspielen 2021 uraufgeführt wurde.
Nach Art des zeitgenössischen Dokumentartheaters lässt der zwischen Freier Szene und Stadttheater wechselnde Hamburger Autorenregisseur Helge Schmidt in »Unser Erbe: Tax me if you can« – ein Spiel mit dem Titel Leonardo-DiCaprio-Hochstapler-Komödie »Catch Me If You Can« – am Wiesbadener Staatstheater via Video eine Reihe von realen Experten zu Wort kommen. Neben einem Soziologen und einer Politikwissenschaftlerin auch Erben großer Vermögen, die sich für eine gerechtere Besteuerung einsetzen. Die andere Ebene stellen satirisch-modellhafte Spielszenen mit einem fünfköpfigen Ensemble – Evelyn M. Faber, Franz Kemter, Martin Plass, Felix Strüven und Sandrine Zenner – dar.
Das Resultat kommt einem journalistischen Feature nahe, und mehr noch den monothematischen journalistischen Satiresendungen von Jan Böhmermann. Mangelnde Gründlichkeit wird man Helge Schmidt, der sich nicht zum ersten Mal mit dem Themenfeld Eigentum und Gemeinnutzen beschäftigt, nicht vorwerfen können. Ein faktenstrotzendes Infotheater. Zumindest der aufmerksame Medienrezipient – Theaterbesucher werden das in der Regel sein – hat das alles schon mehr als einmal gehört.
Was nicht zwingend ein Problem sein muss. Doch worin nun besteht der Mehrwert? Erinnern wir uns für einen Moment an die Glanztaten von Rimini Protokoll, den Pionieren des zeitgenössischen dokumentarischen Theaters. Da waren Momente, die einen in der einen oder anderen Weise frappierten. Rimini Protokoll spürten dem Theatralen in der Wirklichkeit, etwa im Vortrag eines Universitätsdozenten, nach. Und vermochten einen szenischen Esprit daraus zu schlagen.
Wie hüftsteif hingegen wirken diese neunzig Minuten. Prallvoll, und dabei zieht sich doch die Zeit. Es ermangelt an Raffinesse. Die Songs wirken lahm, die Instrumentalplaybacks dazu wie Billigproduktionen in einem notleidenden Kabarett zurückliegender Jahrzehnte. Und eine ernstliche sängerische Statur hat Schmidt mit nicht einem/r der Schauspieler*innen entwickelt.
Wenn droht, dass sie etwas abgeben sollen zur Finanzierung von Staatsaufgaben wie etwa Kitas, bricht die schiere Hysterie aus in den grell-grotesk stilisierten Schauspielerszenen mit drei Generationen einer schwerreichen Familie. In diesen Szenen wird vor allem demonstriert, wie der Staat – sprich über Jahrzehnte hinweg die wechselnden Regierungen mit ihrer Gesetzgebung – die Erben großer Vermögen mit einem System von Schlupflöchern gemeinschaftsabträglich begünstigt. Eine wirkungsmächtige Lobby macht‘s. Im Referat um den Fall der Übertragung einer Milliarde durch Friede Springer an den Springer-Vorstandsvorsitzenden Matthias Döpfner fallen Winkelrechtsbegriffe wie »Begünstigtes Vermögen« und »Verschonungsbedarfsprüfung«. »Bürgergeld weg für Faule« lautet die Schlagzeile auf der gleichzeitig eingeblendeten Titelseite einer Ausgabe von Springers »Bild«-Zeitung. Die Nazi-Vergangenheit einer Reihe von reichen Familien samt Beschäftigung von Zwangsarbeitern wird abgehandelt und verwiesen auf die Neigung von Benachteiligten in diesem Ungleichheitssystem, politisch rechts zu wählen.
Helge Schmidt hat mit seinem Anliegen ja so recht. Doch das hat für ein aufregendes Theater noch nie gereicht. Herr Schmidt, wo bleibt das Unerwartete?

Stefan Michalzik / Foto: © Maximilian Borchardt
Termine: 3., 10. Januar, 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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