»Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?« im Städel

Eine Ausstellung, bei der ein Fragezeichen im Mittelpunkt steht, hat schon gewonnen. Vor allem, wenn sie sich einem so durchinterpretierten Oeuvre zuwendet wie dem von Rembrandt Harmenszoon van Rjn, von dem das Städel allein 259 Werke in seinen Ausstellungen und Archiven zur Verfügung hat.
In Rembrandts Werk zieht Kurator Jochen Sander nun einen Subtext ein: er legt seine und die Werke weiterer Meister der niederländischen Malerei des sogenannten goldenen Zeitalters als sozialgeschichtliche und politische Dokumente aus und ermuntert, sie als solche zu lesen. Sie geben es, ohne vorgreifen zu wollen, zweifellos her. Die Besucher*innen erforschen gleichsam anhand von Ankerfiguren, die das Städel bestimmt hat, den gesellschaftspolitischen Gehalt, in dem sie hinter die glänzende Oberfläche der Bilder blicken. Und so befindet man sich mit den hier ausgestellten nahezu hundert Gemälden, Skulpturen und Druckgrafiken aus dem 17. Jahrhundert tatsächlich in einem Dialog – der so oft überstrapazierte Begriff bekommt hier endlich einmal Sinn.
Überdies genießt das Städel die Gunst der Stunde. Weil das Amsterdam Museum derzeit renoviert wird, bekam Frankfurt eine Fülle von Werken ausgeliehen, die nun zum ersten Mal und in dieser Opulenz überhaupt zu sehen sind. Auch aus dem Rijksmuseum und dem Metropolitan Museum of Art in New York sind kostbare Leihgaben gekommen. Allein dies wäre Grund genug, die Schau in ihrer wohl einzigartigen Pracht zu besuchen, aber so richtig spannend macht sie – das Fragezeichen.
Dass Amsterdam im 17. Jahrhundert zur glänzendsten, liberalsten, kulturell diversesten und größten Metropole Europas in kürzester Frist heranwuchs, gründete auf dem Reichtum der freien Bürger- und Handelsstadt. Nur, woher kam er? Von den zahllosen Religions-Flüchtlingen, die in die Stadt der nördlichen »niederen Lande« in Scharen strömten? Die niederländischen Provinzen standen von 1568 bis 1648 unter der Herrschaft des spanischen katholischen Königreiches, in dem damals die Sonne nie unterging und das Friedrich Schiller zu seiner Revolutionsschrift »Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung « inspirierte. Dieser Epoche verdanken wir seinen »Don Carlos« – historischer Background des »goldenen Amsterdam«. Die zunächst katholische, später protestantische Stadt spiegelte genau diesen Übergang. Sie bot den gut Ausgebildeten, der Intelligenzia, der Wissenschaft und Kunst Platz und Ansehen. An ihrer florierenden Börse wird mit Anteilscheinen der Ostindischen und Westindischen Handelskompanien gehandelt, an denen sich auch Frauen beteiligen und reich werden konnten, es blühte als Folge der in Asien, Afrika und Amerika gewaltsam geschaffenen Kolonien auch der Sklavenhandel.
Man kann durch die Säle schreiten und sich an den wunderbar sprechenden Gruppenbildnissen der gesellschaftlichen Oberen Fünftausend delektieren, die das bürgerliche Stadtgeschehen bestimmten und dirigierten, an ihren samtig schwarzen Gewändern, ihren blütenweißen gefältelten Halskrausen, ihren frischen Apfelbäckchengesichtern beim Umtrunk, in ernste oder fröhliche Mienen und auf ihre überaus fein ziselierten Essteller blicken. Visualisieren diese Gruppenbildnisse – typische Symbole der Kunst im Amsterdam jener Epoche – nicht nur Macht und Einfluss des sich hier im Gegensatz zum Adel meist ausgelassen feiernden Bürgertums. Sie bezeugen auch die Heranreifung eines Malstils, von der statischen Uniformität der frühen Darstellungen (Cornelis Anthonisz, »Rotte A der Hakenbogenschützen« von 1531) bis zu den lebhaften und individuell herausgearbeiteten Porträts des Einzelnen in der Gruppe (Nicolaes Eliaszoon Pickenoy, »Mahlzeit der Armbrustschützen« von 1632).
Um den Blick aber umzulenken auf das, was hinter den Gemälden geschieht, hat das Städel nun sieben Ankerfiguren aus den Gemälden heraus gefiltert, genau jene, die stets im Schatten stehen: eine Prostituierte, das Skelett eines hingerichteten englischen Piraten (in einer »Anatomievorlesung« von Egbert van Heemskerck, fast surreal großartig), eine Schankwirtin, ein zum Malerstar aufgestiegener Waisenknabe. Und ein zum Tode verurteiltes junges Mädchen, Elsje Christiaens hieß sie, wurde von Rembrandt und seinen Malerkollegen so inniglich und zart porträtiert, als wolle man ihr nach ihrem Tod am Galgen Trost und Mitgefühl zusprechen. Im Parcours durch die Säle sind diese Ankerfiguren als Repräsentanten der Geschichte von unten besonders hervorgehoben. Einmal auf die Spur gesetzt, kann man in nahezu allen Exponaten diejenigen entdecken, die kleiner als die Protagonist*innen gemalt sind, die in einer Ecke am Bildrand kauern, die in ihrer fahlen Farbigkeit fast mit dem Bildhintergrund verschmelzen und den Gemälden so eine ganz eigene Aussage verleihen, welche die Pracht des ausgestellten Reichtums fast unwillentlich konterkariert. Einen Sklaven wollte Kurator Sander eigentlich auch zur Ankerfigur machen, doch das entsprechende Gemälde war nicht ausleihbar.
Mit Stadtplänen beginnt die Ausstellung, mit Darstellungen der Börse, des geschäftigen Treibens auf den großen Plätzen. Einen zweiten thematischen Fokus bildet die Präsentation wohltätiger Einrichtungen. Die vom evangelischen Magistrat 1578 enteigneten Klöster wurden zu Waisenhäusern, Almosenhäusern und Zuchthäusern umgewandelt, um die sozialen karikativen Einrichtungen der katholischen Kirche zu kompensieren. Aus den Gemälden der Almoezeniershuis spricht ganz unverhohlen der selbst sich vergewissernde Stolz der Regent*innen, eine solch soziale Arbeit überhaupt zu leisten. Und die Szenen aus den Zuchthäusern Rasphuis und Spinhuis verdeutlichen die demütigende Entrechtung, denen die Insass*innen ausgesetzt waren (bis hin zu einem sprichwörtlichen Me too, Pieter Pietersz, »Ein Mann bedrängt eine Frau am Spinnrad«, ca. 1560–70).
In einem weiteren umfangreichen Themenkomplex präsentiert das Städel Werke seiner eigenen Sammlungen, zeigt eine Fülle an Studien, Radierungen und die lebensprallen Skizzen des großen, sinnlichen Menschenzeichners Rembrandt. Ganz unbedingt sehenswert.

Susanne Asal
Foto: Arent de Gelder (1645–1727)
Selbstbildnis als Zeuxis, der eine ältere Frau porträtiert, 1685
Öl auf Leinwand
Städel Museum, Frankfurt am Main
Bis 23.3.2025: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–18 Uhr, Do., 10–21 Uhr,
www.staedelmuseum.de

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