Stalburg: Sabine Fischmanns »Medusa« schockt mit Reality

Sie gilt zwar als musikalische Alleskönnerin, aber Schlagzeug spielen konnte die 2021 mit dem Frankfurter Faust-Preis ausgezeichnete Schauspielerin, Pianistin, Sängerin, Komponistin, Kabarettistin und Dozentin Sabine Fischmann bis vor einem Jahr noch nicht. Das aber eignete sich die multitalentierte Künstlerin für die Inszenierung von Birgitta Lindes »Medusa«-Solo auf der Stalburg-Bühne beim hessischen Drum-Guru Anselm Wild angeblich in Rekordzeit an. Und das ist gut so. Denn für den feministischen Wutausbruch, den »#Me too Medusa« schon im Untertitel unheilvoll verheißt (und grandios einlöst), erweist sich das Schlagzeug als Idealinstrument, wenn nicht gar -waffe.
Dass sich Besucherinnen nach der umjubelten Premiere tatsächlich beschwerten, hatte aber weder mit dem Schlagzeug – und schon gar nichts mit dem Klavierspiel zu tun. Sie meinten, nicht genug gewarnt worden zu sein über die hier eine adäquate Sprache findende brachiale Gewalt gegen Frauen für die die antike Mythenfigur sinnbildlich steht. Dabei hätte über den doch eindeutigen Titel hinaus, wenn schon nicht der Blick in Ovids »Metamorphosen«, ein Klick zu Wikipedia gereicht, wo nicht nur über die Vergewaltigung Medusas durch den Meeresgott Poseidon, sondern auch die uns heute als Täter-Opfer-Umkehr und Victim-Bashing geläufige Bestrafung Medusas (Schlangenhaupt, heraushängende Zunge) wegen Tempelschändung durch Pallas Athene informiert. Hat sie denn nicht klar genug Nein gesagt und, wenn doch, oft genug, und wenn auch das, sich nicht richtig gewehrt? Das tatsächlich Erschreckende an dieser Leidensgeschichte ist ihre ungebrochene Aktualität.
Keine leichte Kost für niemand ist dieser Abend, auch wenn die erst am Flügel sitzende Darstellerin ihre Drumsticks zunächst noch als Stricknadeln benutzt, wenn sie in griechischen Hexametern mit heutigem Vokabular weit detaillierter und damit auch genauer als viele es wissen wollen ihre verhängnisvolle Begegnung mit dem als Grabscher bekannten Poser Poseidon schildert. Was heißt hier »schildert«! Fischmann zieht uns mit, lässt uns miterleben, was da geschieht, immer weiter und ohne Gnade wird da in Anlehnung nicht nur an Weinstein’sche Praktiken die demütigende Gewaltschraube gedreht, um im dann Folgenden das rhetorische Arsenal an Fragen und Unterstellungen aufzufächern, denen Opfer nur zu oft ausgesetzt sind. Ohne Worte bleiben dann nur noch die Reaktion, der Groll und die Wut, die Fischmann in ihr mächtiges, Trommelfell-strapazierendes Drum-Solo packt. Wow, wow und nochmal wow.
Die Rückkehr zum Klavier nach der Pause verheißt indes keine sanftere Tour im zweiten Teil, auch wenn die nun demonstrierte Dummdreistigkeit, mit der sich Gewalt gegen Frauen ins Kulturkleid schmeißt, manchen Lacher auslöst. Angefangen mit Tom Jones Femizid-Hit »Delilah« über den Schmuse-Barden Roland Kaiser (»Warum hast du nicht Nein gesagt?«) und das Duo Sigrid & Marina (»Zweimal Nein heißt einmal Ja«) bis zum Sido-Rap (»Leck Sibbi«) und der lyrischen Würdigung der Party-Ikone Ikke Hüftgold (»Dicke Titten Kartoffelsalat«). Den Gap zur Reality erspart uns Fischmann dabei nicht, hämmert mit Boxhandschuhen auf die Klaviertasten ein, drischt mit Barbiepuppen auf die Bleche und lässt uns ganz nebenbei stimmmächtig erleben, was für eine großartige virtuose Entertainerin sie doch ist. Ihr kämpferischen Finale mit »Survivor« von Destiny‘s Child reißt das Publikum dann endgültig von den Stühlen. Was für ein Abend!

Winnie Geipert / Foto: © Petra Bruder
Termin: 21. Januar, 20 Uhr (weitere im Februar)
www.stalburg.de

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