Kohlhaasiade vor präfeministischem Panorama
Es sind einmal mehr die Nachbarn, mit denen sich die Familie Hesselbach im Stalburg-Theater herumschlagen muss, mit Frau Bickelberg (hessisch: Biggelbärsch) nebst Mann von gleich nebenan um »Das Heizkissen« und mit dem Herrn Krekeler (hessisch: Kräggelä) um »Das Wegerecht« in der Schrebergartenkolonie. Das Hausensemble bestreitet seinen dritten Bühnenabend mit den Vorzeigehessen, die Wolf Schmidt für eine Hörspielserie in den frühen 50ern kreierte. Beide Stücke stammen aus dem Jahr 1952.
In der Heizkissen-Episode erbittet Frau Bickelberg – weche ihrem schlechde Rügge – ihr ausgeliehenes Heizkissen von Frau Hesselbach zurück. Wie peinlich für die doch sonst so Ordentliche, dass der Wärmespender gar nicht im Haus ist, weil er, wie sich schnell erweist, gleich mehrfach weiterverliehen wurde. Mama Marie Eleonore greift zu einer Notlüge und macht sich nun an die zur Schnitzeljagd geratende Wiederbeschaffung des Teils. Dumm nur, dass Frau Bickelberg sich zur Überbrückung selbst ein Heizkissen leiht und dabei, ohne es zu merken, ihr eigenes erhält. Noch dummer, dass es ihr kaputtgeht als die Frau Knauer es zurückfordert. Kompliziert? Nicht wirklich. Denn der Zuschauer wird in einem furiosen Figurenkarussell jede einzelne Station des wie ein Wanderpokal rotierenden Utensils erleben, was insgesamt ein präfeministisches Panorama hessischen Hausfrauentums ergibt. Offen bleibt in dieser Posse nur, zu wem man nun halten soll, stehen die Bickelbergs ihren Nachbarn doch weder an Starrsinn noch an Verschlagenheit nach.
»Das Heizkissen« ist, was die Blödelquote angeht, das ergiebigere Stück von beiden und deshalb die richtige Wahl für den fröhlichen Ausklang des Abends. Beim »Wegerecht« haben wir es in der Figur des Herrn Krekeler mit einer Art Wetterauer Michael Kohlhaas zu tun, der sich seine Rechte ohne Rücksicht auf Verluste auch dort nimmt, wo er sie gar nicht hat. Unter Regie von Manfred Roth kreiert das Ensemble einen sarkastischen Egomanen, bei dessen Tiraden einem das Lachen im Halse stecken bliebe, spräche er ein noch dunkeldeutscheres Idiom als das des Rodgaus. Prima. Karl Hesselbachs großartige Exkurse über den Gartenbau und die Wirtschaftlichkeit der Tomate helfen über den Schrecken halbwegs hinweg.
Eingespielt ist ein völlig unzureichendes schon fast beleidigendes Attribut für das famose fünfköpfige Ensemble des Stalburg-Theaters, das sich seine Figuren längst einverleibt hat. Das gilt dieses Mal besonders für Harald Uhrigs gluckenhaft präsente Mamma Hesselbach, die es am Rande des Heizkissen-Wahnsinns zur Höchstleistung treibt – nur nach ihren »Drobbe« hat sie Karl (auch in Rage kontrolliert: Steffen Schwarz) nicht gefragt. Ebenfalls im Rock, und zwar dem der Nachbarin Bickelberg, weiß der sonst auf den forsch-saloppen Sohn Willi reduzierte Thomas Rausch zu gefallen. Wenn es denn gespielt sein sollte, ist vor allem Thomas G. Hartmanns Wutbürger brillant. Prima auch Alison Rippier, die sich in der Rolle der Tochter als heimliche Strippenzieherin erweist. Kein bisschen gestern, sondern eine Lachnummer, wie man sie sich nur wünschen kann.