Willkommen im Dschungel. Es braucht nicht lang, um festzustellen, dass die Suche nach einem Handlungsstrang in dem Stück »Zeit des Lebens« der Kanadierin Evelyne de la Chenelière vergeblich sein muss. Und dass es wohler tut, sich dem Lauf ihrer ungemein bilderreichen und geschmeidigen Sprache zu überlassen. Wir sehen ein Krankenhausbett im kahlen, leeren Raum auf der Parkettbühne. Und eine Figur, die sich in diesem Bett aufrichtet und als Jeanne vorstellt. Dass sie im Sterben liegt, lässt sich aus ihren Gedanken schließen, die sich in immer neuen Anläufen um Gott und den Glauben, um das Jenseits und um den Sinn des Lebens drehen. Und um das kaum lösbare Problem, die treffenden Worte für diese Gedanken zu finden. So einfach wie Der Liebe Gott in Bob Dylans »In The Beginning«, macht es sich das Alter Ego der Autorin nicht, die deren Rolle bei der Uraufführung des Originals »La vie utile« tatsächlich selbst übernahm.
Jeannes immerwährend schürfenden Gedanken tauchen in die früheste Kindheit ein, bringen ihre Mutter ins Spiel, auch ihren jüngeren Männern verfallenen bisexuellen Vater, dem sie den Namen zu verdanken hat. Dieser hatte natürlich die große Heilige aus Domrémy im Sinne: wahrscheinlich, weil sie auf den Bildern wie ein Junge aussieht, meint die Tochter: »Ich hasse sie dafür, dass sie meinem Vater gefiel, aber nicht ihrem eigenen«. Es gibt keinen Satz, der hier nicht zu verstehen wäre, sieht man von den Passagen auf Griechisch und Spanisch ab, die den Unkundigen als wohlintonierte Klanggemälde begegnen. Immer wieder aber geht es um den Sinn der hinter den vielen Worten steckt, die uns die Welt und das Leben erklären wollen
Auch der Tod klopft bei Jeanne an, von dem sie sich aber noch etwas Zeit ausbedingt und erhält, um weiter nachzudenken und vielleicht doch noch herauszufinden, ob, warum und weshalb es ihrer bedurfte. Allmählich enthüllt sich, dass die Sterbende vom Pferd gestürzt ist und im Koma liegt. Dass der nicht endende Fall von einer in die andere und die nächste Welt, den sie uns schon schilderte, sich in diesem Fall widerspiegelt. Mit vier jungen, bestechend klar sprechenden Darstellern setzt Regisseur Kornelius Eich diese irrlichternde Wanderung durch ein Menschenleben in Szene. Marlene-Sophie Haagen gibt die bettlägerige Jeanne, Alexander-Chico Bonet im offenen Hemd den Tod als Schönling, Jonathan Lutz erleben wir unter anderem als Vater, den Jeannes Sturz eher zu faszinieren als zu ergreifen scheint, während die groß aufspielende Antigone Akgün dieses Mal als Mutter imponiert. Wie diese pragmatisch-fürsorgliche Mama der Tochter die Vorzüge des Fensters im Krankenzimmer ausmalt, ist nachgerade zum Niederknien.
Man muss nicht schlau werden, aus dem knapp 80-minütigen Abend, um sich gleichsam beschenkt zu fühlen. Dass sich Sprache und Spiel derart glücklich zusammenfügen, macht ihn zu einem Erlebnis, zu dem man auch den Landungsbrücken nur gratulieren kann. Es ist die deutschsprachige Erstaufführung des Werks einer hier noch kaum entdeckten Autorin. Auf einer Bühne, die immer wichtiger für Frankfurt wird.
gt (Foto: © Christian Schuller)
Termine: 29., 30. Januar, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org