Undercover Küsse: »Bis ans Ende der Nacht« von Christoph Hochhäusler

Regisseur Hochhäusler erzählt in einer schillernden Mischung aus Krimi und Beziehungsdrama von einem Undercover-Ermittler in Frankfurt, der sich zusammen mit einer Transfrau an einen Drogendealer heranmacht: ein Highlight des diesjährigen Lichter Filmfests, präsentiert das Drama mit Thea Ehre eine Femme fatale mit Penis, die auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde

Robert (Timocin Ziegler) hat einen klaren Auftrag. Er soll Victor (Michael Sideris), den Hintermann eines Online-Drogenhandels, dingfest machen. Sein Werkzeug dazu ist Leni (Thea Ehre), eine Transfrau, die für die Geheimoperation aus dem Gefängnis, in dem sie wegen Drogendealens einsaß, entliehen wurde. Mit der Aussicht auf Haftverschonung soll sie die Geliebte von Robert spielen und sich dem Verdächtigen annähern. Denn einst hat Leni, damals noch als Leonard, für DJ Victor als Tontechniker gearbeitet.
Tatsächlich gelingt es dem Undercover-Paar, sich über einen Tanzkurs Victor und dessen Freundin anzunähern. Und wenn Leni und Robert sich küssen, wirkt das geradezu unheimlich echt. So gewinnt Robert, der sich als arbeitsloser Koch ausgibt, Victors Vertrauen und wird mit Handlangerdiensten beauftragt. Doch Leni macht Zicken und droht, die Mission zu gefährden. Da helfen auch keine Fußfesseln. Oder sollte sie die Einzige sein, die tatsächlich einen Plan hat – nämlich sie selbst zu werden?
Christoph Hochhäusler traut sich was. Der Regisseur und Publizist überraschte bereits mit dem verstörenden Film »Unter dir die Stadt« (2010), in dem er im Gewand eines Thrillers ein Psychodrama inszenierte, in dem sich Menschen im Selbstzerstörungsmodus in obsessiven Beziehungen verstricken. War das Drama in der dünnen Luft des Frankfurter Bankenmilieus angesiedelt, so spielt auch Hochhäuslers neuer Film in Frankfurt, jedoch deutlich weiter unten.
Auch hier täuscht er einen Genrethriller an, um dann, verflochten mit einem Krimiplot, von einer toxischen Amour fou zu erzählen. Der Psychokrieg zwischen Robert und Leni, die abwechselnd schmusen und sich angiften, ist schwer zu ertragen. Und doch kann man nicht wegsehen, denn ihr Konflikt, der sich um Begehren und geschlechtliche Identität dreht, geht ans Eingemachte.
In einer stilbewussten Inszenierung unterstreicht der Regisseur das Spiel der Täuschungen durch spiegelnde Scheiben, in denen sich die Konturen der Darsteller verwischen, und erzeugt mit bewegter Kamera ein permanentes Schwindelgefühl. Beglaubigt wird diese »Vertigo«-Atmosphäre vor allem durch die aus Wien stammende Transfrau Thea Ehre als Leni, die für diesen Auftritt auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Sie bekam den Preis für die Nebenrolle, ist aber der eigentliche Trumpf dieser abwechselnd hitzigen und verkopften Geschichte. Als muskulöse, große, im Ledermini und mit Lockenfrisur auftretende Femme fatale mit Vorliebe für melodramatische Marlene-Dietrich-Lieder wirkt sie wie aus einem Film von Rainer Werner Fassbinder entsprungen. Doch wo Leni einerseits an dessen ebenfalls in Frankfurt spielendes Transsexuellendrama »In einem Jahr mit 13 Monden« erinnert« erinnert, wandelt sie sich hier vom passiv-aggressiven Opfer zu einer Frau, die Robert dazu zwingt, zu seinen Gefühlen zu stehen. Leicht verdaulich ist dieser schillernde Beziehungskrimi nicht, doch die Irritationen, die er auslöst, haben es in sich.

Susanne Kleinschmidt / Foto: © Grandfilm
BIS ANS ENDE DER NACHT (>> Trailer)
von Christoph Hochhäusler, D 2023, 119 Min.
mit Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob, Rosa Enskat, Aenne Schwarz
Thriller
Start: 22.06.2023

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