Unmöglichkeit der Liebe

Das Staatstheater Darmstadt zeigt Moritz Rinkes Komödie
»Wir lieben und wissen nichts«

Die klassische Konstellation: Zwei langjährige Paare, die Dinge eskalieren ohne Erbarmen, zwischen den Partnern untereinander wie zwischen den beiden Parteien. Ähnlich Edward Albee und Yasmin Reza gehört Moritz Rinke zu jener Sorte Dramatiker, die gerne mit dem Boulevard flirten. Seine Stücke werden, eine Seltenheit für einen zeitgenössischen Dramatiker, viel nachgespielt, nach ein paar Jahren indes verschwinden sie, und so kommt es beinahe schon einer Ausgrabung gleich, wenn das Darmstädter Staatstheater nun Rinkes Komödie »Wir lieben und wissen nichts« aufgreift, obwohl die Uraufführung durch Oliver Reese am Frankfurter Schauspiel 2012 so lange noch gar nicht zurückliegt.
Wie ein Buchmessestand mit Reclamheftchen sieht der Raum von Ausstatter Pascal Seibicke für die Inszenierung von Judith Kuhnert aus. Mir-gehört-die-Welt-forsch mit Plan die Hannah von Edda Wiersch, sie gibt Kurse in Sachen Atem und Spiritualität für gestresste Banker und verdient das Geld für ihren Freund mit, den von Daniel Scholz herrlich mit einer in eine beißende Ironie gegossenen Resignation ausgestatteten Sebastian. Der brütet als Kulturhistoriker mit lahmender Produktivität an schöngeistigen Vorworten, wirft ihr Verrat an den einstigen gemeinsamen Werten vor und will nicht mehr mitziehen bei ihrem ewigen Arbeitsnomadentum.
Dieses Nomadentum ist es auch, dass eines temporären Wohnungstauschs wegen zur Begegnung mit einem alles andere als feingeistigen Paar aus Zürich führt. Holzschnittartig ist es in der Darmstädter Inszenierung gezeichnet, nicht zum Schaden. Schon das Äußere von Berna Celebi als Magdalena, von Beruf Tierphysiotherapeutin, offenbart ihre simple Wesensart, von der »rockigen« Frisur bis zu den Schlangenlederstiefeln mit stöckelschrittproduzierenden High Heels. Roman, ihr Mann, ist bei Aron Eichhorn nicht minder Karikatur. Irgendwas mit Satelliten hat er zu schaffen, und eigentlich auch nicht mehr, seinen Entlassungsbrief hält ihm Magdalena vorerst noch schonend vor. Aggressiv-nervös bedrängt er das Gastgeberpaar ob des partout nicht aufzutreibenden Benutzerpassworts für das (ach wie zwingend!) von ihm benötigte WLAN.
In der herrlichsten Art lässt das Ensemble Sehnsüchte, Resignationen und Ausbruchsfantasien – samt Versuchen überkreuz selbstredend – aufeinanderprallen. Da stecken mächtig unvermindert gegenwärtige Zeitgeistsplitter drin in Rinkes Stück, vom Arbeitsnomadentum über das »vereinbarte Kind«, das Hannah von Sebastian einfordert und das mithilfe einer »Fruchtbarkeits-App« gezeugt werden soll.
Das Stück erzählt von der Unmöglichkeit der Liebe in den Zeiten einer hyperventilierenden Kommunikation.
In ihrer Altertümlichkeit sieht die ererbte Pistole, mit der Sebastian immer wieder slapstickhaft herumfuchtelt aus wie aus einer Tschechow-Inszenierung herübergewandert, und tatsächlich hat das Stück Anklänge von Tschechow – Stichwort Lebensverdruss – gemischt mit kishonesker Satire. An den deutschen Theatern, so hat Moritz Rinke einmal gesagt, herrsche eine wahnsinnige Angst, man könne sich unter Niveau amüsieren. Keine Gefahr im vorliegenden Fall.

Stefan Michalzik
Termin: 12. November, 18 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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