Leider kann man sie nicht befragen, man müsste sie schon an ihren Taten bemessen, aber doch, wenn man einige Festsetzungen darüber sacht verändert, was Intelligenz überhaupt ist, zum Beispiel durch Menschenverstand definiert, dann sind Pflanzen durchaus intelligent. Und wenn es artifizielle Intelligenz gibt, dann gibt es Pflanzenintelligenz schon lange, und zwar über Millionen von Jahren hinweg.
In diesen Disput tritt ein – aber ficht ihn nicht aus – die aktuelle multiperspektivische und multimediale Schau im Sinclair-Haus »Unter Pflanzen«. Die beiden Standpunkte lauten: Das äußerst komplexe und andersartige Wesen von Pflanzen sei mit Begriffen wie Intelligenz überhaupt nicht zu fassen, oder aber: da Pflanzen über die Fähigkeit verfügen, flexibel auf Lebensumstände zu reagieren, sind sie in diesem Sinn durchaus intelligent.
Wie stets bei seinen Ausstellungen trennt das Sinclair-Haus die künstlerischen Positionen von den wissenschaftlichen, dies aber nie vollständig, denn auch wissenschaftliche Positionen und Erkenntnisse können durchaus dazu einladen, sie künstlerisch auszudrücken. Und vice versa. Dazu gibt es mehrere überraschende Exponate, doch zunächst dürfen sich die Besucher davon bezaubern lassen, dass sie von mit Efeuranken bepflanzten Hängeampeln empfangen werden, die bei Berührung zwitschern, trillieren, klopfen oder dumpf und drohend brummen. Die interaktive Soundinstallation hat das Künstlerduo Scenocosme ersonnen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Pflanzen elektrostatische Felder in ihrer Umgebung wahrnehmen und auf Tiere und Menschen reagieren. Stumme Begleiter sind sie also keineswegs, auch nicht als domestizierte Zimmerpflanzen, die uns oft Freunde in der eigenen Wohnung werden.
Richtig laut schreien soll die Alraune, sobald man sie aus der Erde zieht. Dieser dem menschlichen Umriss ähnelnde Wurzel werden seit dem 1. Jahrhundert die verschiedensten Eigenschaften attestiert – je nach Religion, möchte man hinzufügen. Im Altertum galt sie als Aphrodisiakum und Glücksamulett, sie wurde als Beruhigungsmittel und Narkotikum eingesetzt, der halluzinogenen Wirkung eingedenk. Hier ausgestellt ist eine Buchillustration aus dem 15. Jahrhundert. Dies verbindet sie mit weiteren Ausstellungsschwerpunkten: den in indigenen Gemeinschaften benutzten Heilpflanzen, die neben kurativen Elementen oft auch bewusstseinserweiternde Wirkungen entfachen, z.B. die Engelstrompete, welcher der abschließende Raum mit zwei verschiedenen Videos aus Putamayo/Kolumbien gewidmet ist. Bitteres Fazit: Ökologische und soziokulturelle Lebensräume werden infolge wirtschaftlicher Veränderungen durch die Globalisierung bedrängt oder gar vernichtet. Wovon auch eine Hebamme aus dem kolumbianischen Hochland im Film berichten kann.
Unter den Exponaten zur pflanzlichen Intelligenz sind die erstaunlichsten Entdeckungen und künstlerischen Manifestationen zu feiern. Wie sind Blüten entstanden? Wie gelang es ihnen, ihre Existenz zu behaupten? Vor etwa 130 Millionen Jahren waren sie plötzlich da und mussten sich durch Anpassung und Spezialisierung auf der Welt beweisen. Das KI-Video »Sonnenfänger« von Rasa Smite und Raitis Smits zeigt, wie Lupinen auf Licht reagieren, wie es ihr Wachstum beeinflusst, ihre Blütenstände und ihre Blütezeit.
Zum kleinen antikapitalistischen Helden könnte man den indigenen Amaranth ausrufen. Ihm kam die Argentinierin Julia Mensch auf die Spur, die sich fragte, wie auf den derart von Pestiziden vernebelten Sojafeldern in ihrer Heimat immer wieder Amaranth blüht und gedeiht – nebenbei ein sehr nahrhaftes Lebensmittel, das auch Astronautennahrung anreichert. Egal, wie stark man ihn besprüht, um ihn zu vernichten, es gelingt einfach nicht. Die Künstlerin hat Tuschezeichnungen von Amaranthpflanzen angefertigt, die sie selbst ausgesät und beobachtet hat. Die gesamte Wand im oberen Flur ist mit ihren Zeichnungen bedeckt, dieser Pflanze, die dem Globalisierungs-Soja die indigene Überlegenheit zeigt. Pflanzen wollen leben, und da wenden sie alle nur erdenklichen Tricks an, erklären die Kuratorinnen Kathrin Meyer, Direktorin des Museum Sinclair-Haus, und Yvonne Volkart, Leiterin des SNF Forschungsprojekts Plants_Intelligence. Dass man sie dafür zum politischen Symbol erkürt, umso besser. Falls es noch eines Beweises bedurft hätte – intelligent ist das auf alle Fälle!
»Unter Pflanzen« – eine Ausstellung in Bad Homburg
