Die erste Runde ging an den Autor. Die Kläger, das Berliner Galeristen-Ehepaar König, das den Roman verbieten lassen wollte, um ungewünschte Publizität zu vermeiden, hat das Gegenteil erreicht: jetzt weiß jeder, der es wissen will (und viele, die es gar nicht wissen wollten), dass Peters Roman auch von einem Galeristen-Ehepaar handelt, in dem sich das Ehepaar König wiedererkennen will. Dumm gelaufen. Nur für Peters ein wahrer Glücksfall. Denn auf diese Weise hat der Roman, wie bei Koeppen, Teil einer Trilogie, die mit »Der Sandkasten« (2022) und »Krähen im Park« (2023) begann und jetzt mit dem »Innerstädtischen Tod« abgeschlossen ist, die verdiente Aufmerksamkeit gefunden. Denn Peters Trilogie ist nicht nur ein hoch ambitioniertes, sondern auch ein famos gelungenes Unternehmen.
Ort: Berlin. Zeitpunkt: der 9. November 2022. Schauplatz: die Kunstszene.
Dreh- und Angelpunkt: der Ich-Erzähler, Fabian Kolb, ein Künstler, der von seinem Galeristen zum Weltstar gemacht werden soll. Aus dem etwas schwierigen Jungen, war bereits ein »aufstrebender Künstler« geworden. Mit der bevorstehenden Ausstellung, dessen Objekte »nach meinen Vorgaben, unter meiner Aufsicht, von Handwerkern aus Marrakesch gefertigt worden« sind, will das Galeristen-Paar Konrad und Lisa Raspe aus dem »Begabten Newcomer« einen »Künstler von Weltrang« machen, mit der entsprechenden Gewinn-Marge.
Fast das gesamte Personal des Buches ist irgendwie miteinander verbandelt. Der Vater, Hans-Gerd Kolb, Eigentümer einer Krawatten-Manufaktur in Krefeld, macht sich mit seiner Frau Anneliese auf den Weg nach Berlin. Selbstverständlich wollen sie bei dieser Vernissage dabei sein. Annelieses Schwester, Irmgard Carius, die von ihrem Mann seit langem getrennt lebt, hat aber noch regelmäßigen Kontakt mit ihm. Dieser Dr. Hermann Carius,, also Fabians Onkel, stellvertretender Parteivorsitzender und Chefideologe der Neuen Rechten, lebt und wirkt auch in Berlin. Er spielt eine besondere Rolle in dem Buch. (Wer hier an Dr. Alexander Gauland denkt, liegt vielleicht gar nicht so falsch. Auch Koeppen hatte einst solche Fährten ausgelegt.)
Peters erzählt seinen Roman aus verschiedenen Perspektiven. Und er trifft die spezifische Atmosphäre der (Berliner) Kunstszene. Dabei werden einzelne Protagonisten besonders »beleuchtet«. Hier spielt dieser Carius seine eigene Rolle. Früher war er ein »Schöngeist mit enormem historischem Wissen« (so wie einst Gauland kluge Porträts englisch/schottischer Philosophen in der, ausgerechnet linksliberalen, Frankfurter Rundschau publiziert hatte). Er wollte später dann auch, dass »der preußische Geist in die Köpfe der Menschen zurückkehrt« und dass die alten Werte wie »Heimatliebe, Pflichtgefühl, Fleiß« wieder an Bedeutung gewinnen. Er hatte »kein Verhältnis zu Katzen, auch nicht zu Hunden«. Sein eigener Sohn Martin ist Pfarrer in Berlin und kümmert sich hauptsächlich um Obdachlose, Junkies und Flüchtlinge. Er kann nicht verstehen, wie aus dem »warmherzigen, zugewandten Vater«, der er einmal war, so ein radikaler Nazi werden konnte und wie es kam, dass »wirre Ideen seinen früher so scharfen, analytischen Geist vernebelten«.
Am Tag der Vernissage überschlagen sich die Ereignisse. In der »Hauptstadtzeitung« erscheint ein Bericht über Konrad Raspe, in dem ihm etliche Frauen sexuelle Belästigung vorwerfen. Kurz vor der Eröffnung demonstrieren deshalb aufgebrachte Frauen vor dem Eingang der Galerie. Doch die Besucher lassen sich davon nicht abhalten. Und während der Eröffnung veranstaltet eine Frau noch ein zusätzliches Happening. Laut schreiend begießt sie sich mit echtem Blut. Doch niemand lässt sich von diesen Aktivitäten abschrecken. Im Gegenteil, »die meisten hatten das Gefühl bei einem wirklich relevanten Event dabei zu sein«. Bekannte Kritiker und potentielle Käufer loben die Exponate. »Vor allem hat das ganze Ensemble plastisch eine ungeheure Präsenz.« Sie sehen »obsessive Elemente« und die »Gesamtinstallation« sei »gleichsam extrem selbstreflektiert«. Nur Martin, der Pfarrer, ist sich sicher: »Alle waren verrückt geworden, Männer und Frauen, Junge und Alte, die Linken, die Rechten«, und das, so die Folgerung des Gottesmannes, weil »sie ihre Verbindung zu Gott aufgekündigt hatten«. Der Künstler jedoch, reagierte konsequent: er machte sich durch den Hinterausgang aus dem Staub.
Christoph Peters folgt hier den Spuren, die einst Wolfgang Koeppen gelegt hat. Er zeigt uns die gegenwärtige Fassung der Bilder, die uns Botho Strauß in seinen frühen Theaterstücken präsentiert hatte. Er zeigt, was die Stunde geschlagen hat. Er beschreibt das Geschwätz und die Leere, die es verbergen soll. Er trifft den Geist der Zeit. Seine Trilogie erweist sich als ein Monument gegenwärtiger Literatur.