Vorbei sind die Zeiten der Feuerzangenbowle, die 1970, als die Lümmel von der ersten Bank die Pauker in die Pfanne hauten, ein farbiges Remake bekam. Heutzutage ist die Schule im Kino ein ernstes Thema geworden, besonders wenn sie sich in einem »Problemviertel« österreichischer Großstädte befindet. Wie die Volksschule im Wiener Stadtteil Favoriten, der die Dokumentaristin Ruth Beckermann einen Film gewidmet hat.
Beckermann hat sich im Herbst 2020 die zweite Klasse einer Grundschule, in Österreich immer noch Volksschule genannt, vorgenommen und die 25 Schülerinnen und Schüler dort bis in die vierte Klasse beobachtet. Daraus ist eine Langzeitstudie geworden, die über die Entwicklung von Kindern in Stadtteilen mit einem hohen Einwandereranteil Auskunft geben soll.
Wie schaut es aus in Klassen, in denen ein großer Teil der Kinder nicht Deutsch als Muttersprache spricht und deshalb mit Verständnisproblemen kämpft? Haben die Kinder eine Chance, als Erwachsene einen anerkannten Platz in der Gesellschaft zu finden? Ist im Filmtitel eine gewisse Ironie enthalten? An der Schule fehlt es an Personal. Das ist der offizielle, der politische Teil des Films, der im Hintergrund ständig mitläuft.
Erstaunlich ist dagegen, wie Beckermanns Film immer persönlicher wird und die Kinder langsam Profil gewinnen. Dass Kinder von der Kamera geliebt werden, wusste schon Charlie Chaplin. Aber eine Schulklasse ist oft schwer zu überschauen, und deshalb hat sich Kameramann Johannes Hammel seinen Protagonisten mühsam durch die Reihen genähert und ihnen viele Nahaufnahmen gewidmet. Dennoch wirken sie immer natürlich.
Zudem verlieren sie das Image der herzigen Kleinen, die mit einer Tanzeinlage (damit beginnt der Film) aufgelockert werden müssen. Sie haben durchaus ihre eigenen, manchmal komischen, manchmal klugen Sichtweisen auf die Welt, in der sie leben. Später dürfen sie diese auch selbst mit ihren Handys dokumentieren. Und sie dienen in Sprechstunden als Dolmetscher für ihre eingewanderten Eltern, die es versäumt haben, Deutsch zu lernen.
Ihr großes Glück ist aber ihre Lehrerin. Ilkay Idiskut verfügt nicht nur über den Migrationshintergrund in ihrer Familie und versteht deshalb die Situation der ihr anvertrauten Kinder. Sie besitzt noch dazu ein großes Herz und ein starkes Einfühlungsvermögen. (Daß sich mancher Bub in die hübsche Lehrerin verknallt haben dürfte, sei hier nur am Rande vermerkt.)
Sie ist eine klassische Lehrerin, die zwar mit ihren Schülern über Bekleidungsfragen und den Schwimmbäderbesuch von Mädchen diskutiert, aber den Schulstoff nicht vernachlässigt und immer eine gewisse Distanz wahrt. Darin unterscheidet sie sich wohltuend von dem in Feuilletons hochgeschätzten Herrn Bachmann, der seine Klasse mit Gitarre und anderem Spielzeug beschäftigte, den Lehrstoff nur nebenbei und notgedrungen durchnahm und über seine Schüler oft mehr wusste als deren Eltern.
Sieht man davon ab, dass Idiskut eine Schülerin an der Rechenaufgabe, eine Zahl abzurunden, verzweifeln lässt und ihr nicht mit Stift und Papier visuell zu Hilfe kommt, so geht sie durchweg vorbildlich mit den Kindern um. Besonders am Ende: Als sie sich wegen ihrer Schwangerschaft vorzeitig von ihrer Klasse verabschiedet, bleibt kein Auge trocken. Da ähnelt der Film Nicolas Philiberts dokumentarischem Meisterwerk »Sein und haben« (Être et avoir) aus dem Jahr 2002. Und wie wir damals über die Zukunft der Absolventen der Einraumschule nicht besorgt waren, so sorgen wir uns jetzt auch nicht um die Schülerinnen und Schüler dieser Klasse.