»Wie wilde Tiere« von Rodrigo Sorogoyen

Zwei Welten prallen aufeinander in diesem mit neun Goyas ausgezeichneten Film, zu dem sich Regisseur Rodrigo Sorogoyen und seine Co-Autorin Isabel Peña von einem Bericht über ein galizisches Dorf haben inspirieren lassen. Es ging um einen unlösbar scheinenden Konflikt,
in den ein zugezogenes, ausländisches Paar mit den Einheimischen geraten war.

Antoine (Denis Ménochet) und seine Frau Olga (Marina Foïs) sind etwa 50 Jahre alt und bereit, einen Neuanfang zu wagen. Sie haben Frankreich und dem städtischen Leben dort den Rücken zugekehrt und sich in einem abgelegenen spanischen Dorf niedergelassen, wo sie biodynamische Landwirtschaft betreiben, verfallene Hütten wieder herrichten und den Ort auch für Touristen attraktiv machen wollen.
Fünf Jahre leben sie nun in dem Dorf; sie haben Spanisch gelernt und bauen auf einem kleinen Stück Land Gemüse an, für sich und den Verkauf auf dem Markt in der nächsten Stadt. Doch unter den Alteingesessenen sind sie Fremde geblieben. Antoine wird von den Männern immer nur »Franzose« genannt. Wenn er in die Dorfschenke kommt, werden historische Anspielungen auf vermeintliche Überlegenheitsgefühle der Franzosen gemacht – schon Napoleon habe sie gehabt.
Unter den Nachbarn tun sich zwei besonders hervor: der aggressive Xan (Luis Zahera) und sein etwas scheuer Bruder Lorenzo (Diego Anido). Die Anta-Brüder wollen die Zugezogenen wieder vertreiben, und sie haben einen handfesten Grund dafür. In der Umgebung soll nämlich ein Windpark errichtet werden. Dem müssen alle Familien zustimmen, und Antoine und Olga weigern sich zusammen mit dem Ziegenhirt Breixa (Gomzalo Garcia). Als dieser stirbt, werden die Franzosen endgültig zu Außenseitern.
Nun sind Misstrauen und Angst ihre ständigen Begleiter. In einer Aussprache erklärt Xan, Antoine habe sich zwischen die Einheimischen und die Chance, endlich zu Geld zu kommen, gedrängt. Antoine sei schließlich ein Lehrer, ein gebildeter Mann. Er müsse doch verstehen, dass der Windpark eine Chance biete, dem mühsamen, armseligen Leben zu entkommen. Sie, die Anta-Brüder, wollten von dem Geld in die Stadt ziehen, dort ein Taxi kaufen und es abwechselnd fahren.
Bei dem wütenden Antoine findet er kein Verständnis. Denn der will halsstarrig seinen eigenen Traum verwirklichen. Er erzählt, er habe schon vor seiner Ankunft ein Bild von der Landschaft gesehen. Und diesen Traum will er sich nicht von Windrädern verhunzen lassen. Er behauptet also, er habe für einen Umzug kein Geld mehr, weil seine Ernte, seine Lebensgrundlage, von den Anta-Brüdern vergiftet worden sei.
Dass zwei Autobatterien in Antoines Zisterne geworfen worden sind, war nicht der einzige Anschlag auf ihn und Olga. Das bedrohliche Verhalten der Antas bestimmt die ganze Atmosphäre des Films. Wenn Antoine mit seinem Schäferhund durch den Wald streift, nimmt er eine Digitalkamera mit, um Beweise aufzeichnen zu können. Die Guardia Civil beteuert zwar, sie werde zu den Brüdern gehen, hält sich aber aus dem Konflikt heraus.
Die Gewaltspirale scheint auch durch Olgas Mahnungen an ihren Mann nicht aufzuhalten zu sein, zumal die Galizier traditionell körperliche Auseinandersetzungen suchen. So ist es Sitte, dass die jungen Burschen frei laufende Wildpferde niederringen, um sie zu scheren und zu markieren, wie es zu Beginn des Films heißt und auch zu sehen ist. (Unwillkürlich denkt man an die Stierkämpfe.)
Als Antoine von einer Waldwanderung nicht zurückkehrt, kämpft Olga für ihn weiter, besonders in einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrer Tochter (Marie Colomb), einem modernen Großstadtgewächs, das die Mutter aus dem Dorf loseisen will.
Inzwischen fühlt sich Olga den traditionellen Werten wie Treue und Ortsverbundenheit mehr verpflichtet als die Autochthonen, die wegwollen. Auch das ist eine Paradoxie des Films, der nicht zuletzt durch die geschickte Mischung aus in Spanien bekannten Schauspielern und famosen Laiendarstellern einen dokumentarischen Charakter erhält.
Die dunklen Bilder von Kameramann Alejandro de Pablo sorgen zudem permanent für Spannung beim Zuschauen. Sie entsprechen so gar nicht den üblichen vom sonnigen Spanien und tragen dazu bei, dass »Wie wilde Tiere« im Verlauf immer mehr fasziniert und lange nachwirkt.

Claus Wecker/Foto: © 2023 Prokino
WIE WILDE TIERE (As bestas)
von Rodrigo Sorogoyen, E/F 2022, 137 Min.
mit Denis Ménochet, Marina Foïs, Luis Zahera, Diego Anido, Marie Colomb
Drama
Start: 07.12.2023

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