Zur Inszenierung von »Stolz und Vorurteil« am Staatstheater Darmstadt

Wer sich Jane Austen auf die Bühne holt, dem ist beides sicher: der Publikumserfolg und das Wagnis des Vergleichs mit dem Roman sowie mit den zahlreichen exzellent besetzten filmischen Adaptionen. Keira Knightley, Judi Dench und Donald Sutherland beispielsweise waren ganz wunderbare Verkörperungen des literarischen Kosmos der britischen Schriftstellerin. Deren zarte Gesellschaftsironie, die sie mit klirrend geschliffenen Spitzen auf ein patriarchales System richtet, welches für junge Mädchen bestimmter Schichten nur eine Heirat als mögliche Existenzgrundlage vorsieht, hält mit elastischer Verve die Jahrhunderte aus: beim Erscheinungstermin im Jahr 1813 (!) war Jane Austen (1775–1817) 38 Jahre alt.
Die Regisseurin Anna Malena Große hat sich in diesem Kontext überraschende Ratgeber ins Boot geholt, als da wären Karl Marx, Friedrich Engels als historischen Untergrund und Klaus Theweleits »soldatischen Mann« als soziokulturelle Koordinate. Und so weitet sie die Nachzeichnung einer Emanzipation im frühesten 19. Jahrhundert, die sich im strikten Rahmen der Gentry, des englischen Landadels fügt, aus zu einer gesellschaftspolitischen Aussage, die bis in unsere Zeit hinein Bestand hat. Was Austen als eine Phase des gesellschaftlichen Umbruchs nie explizit benennt, aber in den hermetischen Lebenswelten ihren weiblichen Protagonistinnen aufscheint, thematisiert die Inszenierung im zweiten Teil und wagt einen Perspektivwechsel in die Moderne.
Schon beim Einstieg dreht die Regisseurin den Spieß um: nicht albern schnatternde junge Gänse, die fünf Schwestern Bennet, die allesamt unter eine – irgendeine – begüterte Haube gebracht werden müssen, bevölkern die Bühne, sondern zwei junge Männer in drastisch zugeschnürten Fechtkostümen und klackernden Absatzstiefeln. Sie durchstreifen die Zuschauerreihen mit prüfendem Blick: Mr. Bingley und Mr. Darcy sondieren quasi das Terrain, an dem sie sich schadlos halten können. Selbstverständlich wissen sie von ihrer himmelhohen Überlegenheit, nicht nur durch ihre adlige Herkunft und ihr Vermögen, sondern ganz einfach durch ihr Geschlecht. Sie können sich im Grunde nehmen, wen sie wollen. Und als die Mädchenschar dann tatsächlich plappernd aus einer eigens für die Vorstellungen gekauften echten Hochzeitskutsche klettert, geht’s erwartungsgemäß um nichts Anderes als Bälle, Diners, Besuche, Etikette als gesellschaftliches Parkett, auf dem das persönliche Glück zu suchen ist. Doch: Überraschung! Im Gegensatz zu den eingeschnürten ledergepanzerten Männern tragen sie bis auf die für die Heirat schon vorbestimmte Jane libertär Flatterndes, Gerafftes in Pastellfarben und so viele Schleifen auf dem Kopf, wie ihre Locken nur tragen können. Einzig Jane trägt zarte Bänder um ihre Glieder unter einem transparenten Gewand. Schön und von sanfter Ironie allein schon die Kostüme (Lena Böckmann).
Auch die Bühne ist sparsam und klug möbliert (Swantje Silber). Die echte Hochzeitkutsche dient mit geschlossenem Dach als Gefährt zu den zahlreichen Festivitäten, mit offenem Verschlag als Bett, als Krankenlager. Links außerhalb des Bühnenraums wartet eine stets gedeckte Tafel, der Bühnenraum selbst ist durch eine stoffbespannte Leinwand markiert. Anna Malena Große hat die umfangreiche Handlung mit ihrem großen Personal gestrafft und durch Videos praktisch übereinander geschichtet, lässt auch voice over sprechen, das schafft stets neue Perspektiven und Schwerpunkte auch abseits der Spielflächen. Das ist mit einer traumwandlerischen Sicherheit und Unaufdringlichkeit gelöst. Auch die Szenen mit dem soldatischen Mann, der sich mit einer neunschwänzigen Peitsche kasteit, kasteit wird, dies aber in lustvollen Gebärden erträgt, ist als Video zu sehen, gerahmt von der Mainzer Prinzengarde als Soldaten – das nenne ich mal Selbstironie! Nur mit dieser einzigen Szene wird der gefallene Offizier Mr. Wickham von dem Tänzer Ramon John verführerisch dämonisiert/charakterisiert.

Das gesellschaftliche Geplänkel entfaltet sich in einem klingelnden Pingpong-Spiel der Beteiligten, das in keiner Weise geziert aufgeführt wird. Es gipfelt in einem fabelhaften Liedvortrag von Hubert Schlemmer als Vater Mr. Bennet, der sein feminisiertes Kostüm mit stoischer Coolness trägt. Auch Kittys DJane-Einlage ist echt nicht übel. (Musik/Komposition Hans Könnecke)
Dass sich Lizzy (Aleksandra Kienitz) als eine ernstzunehmende, klug-pointierte Frau präsentiert, die sich von Mr. Darcy (Florian Donath) nicht einfach einfangen lässt wie eine vor ihm liegende Beute, ist durchaus ein – und der bekannteste Erzählstrang, aber Jane (Lisa Eder) und Mr. Bingley (Nico Ehrenteit, nun nicht mehr im eingeschnürten Panzer) verlassen diese Ebene der Romanerzählung und machen auf eine ganz andere Art und Weise ernst. In Laufräder eingesperrt rattern sie die Beschäftigungszahlen in den englischen Textilfabriken herunter – übrigens waren das viel mehr Frauen als Männer – auch in Derbyshire, der Region, in dem Mr. Darcys Anwesen Pemberley liegt. Man muss ein bisschen an Ulrich Rasche denken, aber in diesem Fall machen die Hamster-Laufräder Sinn: die Maschine ist erfunden und beflügelt die Wirtschaftsleistung, während der Mensch nahezu versklavt halt- und rastlos auf der Stelle tritt. Der massive gesellschaftliche Umbruch der Industrialisierung auch durch die Erfindung des Webstuhls bricht in die Welt der Jane Austen ein und verleiht ihr einen noch nie so gehörten Ton. »Blingley Solutions« als erzkapitalistische Formel ersonnen, schließt in der Inszenierung zum Heute auf, die mit einem wüsten Plädoyer auf den von der weiblichen Emanzipation derart niedergestreckten Mann endet, dass der sich das für ihn selbstverständliche Recht herausnimmt, auf Onlineportalen die Frau auszusuchen, die er braucht. Ein Paradesolo für den ausdrucksstarken Nico Ehrenteit.
Braucht es solcherart gestrickte Männer? »Worauf hoffen?« ist das Motto der diesjährigen Spielzeit. Die inszenatorische Antwort kann man sich denken.
Anna Malena Große hat Jane Austens »Stolz und Vorurteil« zusammengedampft auf eine Stunde und 40 Minuten Laufzeit, hat klug den Hintergrund mitinszeniert und hinzugefügt, was in ihren Augen Jane Austen AUCH ist, sein kann. Diese Verengung – sie macht sie weit.

Susanne Asal / Foto: © Sinah Osner
Termine: 12., 24. April, 19.30 Uhr; 27. April, 18 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

 

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