Mehr Elefant im Raum geht nicht. Da kann auch die berühmte Symbol-Intellektuellen-Regenbogenreihe aus der edition suhrkamp nicht hinwegtäuschen oder der Bauhaus Katalog als table book oder was sonst noch an schick-scheinbar-anti-bürgerlichem Mobiliar im Raum verstreut ist: die auf einen Einkaufswagen aufgetürmten Habseligkeiten eines Obdachlosen mitten in diesem netten Ambiente veranschaulichen auf die schönst-brutale Weise, wo das Weggucken anfängt. Man fragt sich sofort, was die Bewohner*innen einer solch hübschen Wohnung anstellen, um das Elend der Straße nicht zu sehen. Man hinterfragt im Grunde sich selbst.
Diese Rauminstallation, die Jana Sophia Nolle für die aktuelle Ausstellung im Museum Giersch geschaffen hat, bringt ein scheinbares Gegensatzpaar auf den Punkt, welches im Grunde eine Einheit ist. Und genau darum geht es hier. Das Private ist politisch, das Politische dringt ins Private ein, und wo ist ein Mensch privater als in seinen eigenen vier Wänden? Sofern er welche hat. Und nichts ist dann so öffentlich wie der private, aber zur Schau gestellte Raum, den sich ein Obdachloser, eine Wohnsitzlose baut, und wie sehr schmerzt es, die Membran der Privatsphäre zu verlieren, die nun mal eine Wand, oder bestenfalls »die eigenen vier Wände« sind? Und: wer kann sie sich überhaupt leisten? Was sagt eine »Wohnsituation« über die Mitglieder ihrer Gesellschaft aus?

Copyright: Elizabeth Ravn
Foto: Jens Gerber
Das Museum Giersch bringt nun neun künstlerische Positionen zum Thema »Wohnen« zusammen. Zur Einführung werden einige signifikante Daten zur Wohnungssituation in Frankfurt benannt: 53 Prozent sind Single-Haushalte, es gibt nur noch 25.093 sozial geförderte Wohnungen im Gegensatz zu 67.980 im Jahr 1990, zum Beispiel. Und dann geht’s schon los. Zilla Leutenegger setzt sich in ihren witzigen Videoinstallationen explizit mit dem Gebäude auseinander, in das das Museum Giersch eingezogen ist. Es handelt sich dabei um eine repräsentative dreigeschossige Großbürgervilla der Frankfurter Bauunternehmerfamilie Holzmann, die sie sich im Jahr 1910 im neoklassizistischen Stil bauen ließ. Ein Prunkstück des Museumsufers. In einer Vitrine im ersten Stock sind dazu auch einige Fotos versammelt.
Fotos von einem wesentlich dramatischeren Gehalt hat Robert Haas im Jahr 1938 kurz vor seiner Flucht aus Nazi-Österreich gemacht: im Auftrag geflohener jüdischer Familien dokumentiert er ihre Wohnungseinrichtungen, die Bibliotheken, die Frisier-und Waschtische, die Kronleuchter, und eine Wohnung ganz im Stil der Moderne. Hier sind die Reproduktionen zu sehen, stumme Zeugen einer Verlöschung? Einer Wiederkehr? Eines Festhaltens?
»Die Zuckerdose« nennt Susanne Kutter ihren Film, der die Brüchigkeit einer scheinbar stabilen, einer scheinbar sicheren Wohnungswelt visualisiert. Aus der Vogelperspektive ist ein bieder-klassisches Wohnzimmer aufgenommen, dessen Möbel sich allmählich verrücken, dessen Teppich sich zusammenschiebt, die Vase umstürzt, die Stehlampe über das Sofa fällt, wie bei einem Erdbeben, alles in Zeitlupe, am erschütterndsten vielleicht der zittrige Spiegel des Kaffees in den Tassen. Und dazu Arien aus dem »Rosenkavalier«.
Inge Werth präsentiert ihren so gewitzten wie hintergründigen Reigen von Schlafzimmer-Fotos, der hier ein ganzes Kabinett füllt. Es sind Selbstinszenierungen unterm Moskitonetz oder ein kaum erkennbares Hochbett zwischen Dart-Scheiben, studentisches Allerlei und fernöstlich gestimmte Höhlen unter Dachschrägen, ein bisschen dröge angeordnete Zweisamkeit. Matthias Weischer erschafft in seinem Raum in Babyblau (Monobloc) und Babyrosa (Lampe und Laute) zwei unterschiedliche, höchst künstliche Bühnen mit blickheischenden Details wie eine Grablegungs-Ikone im Barbie-Home.
Derart assoziativ und aufgesplittert über die unterschiedlichen sozialen und politischen Bezüge gestaltet sich das Ausstellungskonzept. Der Frankfurter Häuserkampf findet ebenso statt wie der Aufbau eine WG-Küche, die eigentlich die Küche des Museums ist. Sie darf man nun gerne als Treffpunkt nutzen. Selige Zeiten: Die teilnehmenden Künstler*innen selbst fühlten sich wie in einer WG, stand doch jedem ein Zimmer zur Ausgestaltung zur Verfügung.