Stark! On the Edge of Past Future
Auf den ersten Blick: So bunt wie eine Bonbontüte – leuchtend gelb, rot, blau, grün, dazu Schwarzweiß. Stilisiert, die Bewegungen eingefroren. Frauen, sehr schöne Frauen. Silhouetten, wie ausgeschnitten. Eine gleißende, fast glamouröse Oberfläche, eher Gemälde als Fotos. Plakativ.
Und dann stimmt etwas nicht. Irgendetwas stimmt überhaupt nicht. Was von Ferne vielleicht wirken mag wie eine tolle Modefotografie, ist oft von unglaublich bitterem Gehalt. Wie »The Shackles of Limitations« auf dem eine Frau im wunderbaren roten Kleid eine Kette von Wasserkanistern durch die Wüste schleift. Die Fotografien der im Jahr 1974 geborenen Äthiopierin Aïda Muluneh haben eine ganz eigenwillige Ästhetik; mit ersten Blicken, das lernt man schnell, mit Eindeutigkeit oder gar Eindimensionalität haben sie rein gar nichts zu tun. Jeder weitere Blick gleitet tiefer hinein in die mit Symbolismen und starken Stilisierungen aufgeladenen Fotos. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.
Die Künstlerin erklärt ihre Methodik so: In Äthiopien existiert nicht die Kultur einer klaren Aussprache oder Benennung. Man kleide Inhalte und Bedeutungen in Schichten, die der Empfänger enträtselt und entschlüsselt, eine ganz übliche und gängige Kommunikationsform, die auch das Miteinander definiert. Sie sei nie aggressiv. Und so enthält jedes ihrer Bilder, die sie so sorgfältig inszeniert wie ein Schauspiel mit Bühne, Vorder-und Hintergrund, eine Vielzahl dieser Botschaften, die »ausgepackt«, gesehen und interpretiert werden wollen, und die nicht nur in Äthiopien sondern auf dem gesamten Kontinent auf Anhieb verstanden würden. Die Starkfarbigkeit habe damit zu tun, dass sie eigentlich in Schwarzweiß denkt und deswegen Primärfarben als adäquat für ihre Werke gewählt hat.
Aïda Muluneh wurde in Frankfurt schon einmal präsentiert, damals bildeten ihre Arbeiten einen Teil einer Sammelausstellung des MMK. Die aktuelle ist ihre erste umfassende Einzelausstellung in Europa, und damit beschenkt sich das Fotografie Forum zu seinem 40. Geburtstag ein bisschen selbst. Und natürlich uns, die Besucher*innen!
Die Fotos entstammen verschiedenen Werkgruppen zwischen 2016 und 2020, und keines davon ist unpolitisch, jedes enthält aufrüttelnde Botschaften, in glühendsten Farben »verpackt«. Mangelnder Zugang zu Bildung und zu Ressourcen wie Wasser, Klimakatastrophen und weibliche Unterdrückung – darauf richtet sich ihr thematischer Fokus. Sie arbeitet ganz explizit mit der Verunsicherung des Blickes, mit Verschiebungen von Perspektiven und mit verfremdender, ins Surreale schweifender Künstlichkeit. Obwohl der gewählte Hintergrund oft ein natürlicher ist – z.B. die unglaubliche Wüste Danakil in Äthiopien, die allerdings für sich schon Surrealität ist – wirkt er nicht so, sondern ebenfalls wie ein Teil einer Bühne. Ihre Protagonistinnen sind ausschließlich Frauen, eigentlich ist es DIE Frau. Häufig ist sie nach traditionellen Vorbildern mit einem kreideähnlichem Weiß bemalt, sie trägt bodenlange Kleider oder Gewänder, Turbane, oder das Gesicht ist durch eine wie tätowiert wirkende Linie längs markiert.
»On the Edge of Past Future« ist ein ausgesprochen plakativer Titel für eine Werkschau, den die Künstlerin noch einmal zusätzlich mit Bedeutung auflädt. Afrifuture sei dies: aus der Vergangenheit schöpfen und sie in die Zukunft überführen. Symbole ihrer Heimat aufspüren und sie neu definieren, wie beispielsweise die Aufnahmen von einem Zugabteil, die auf die erste Eisenbahnverbindung zwischen Addis Abeba und Djibouti hinweisen und deren Waggons oft von Hochzeitspaaren als Fotohintergrund gewählt wurde. Man will aufbrechen und kommt doch nirgendwo an, kommentiert Aïda Muluneh dies während des Rundganges.
Ganz stark ihre Serie, die sie für das Welternährungsprogamm der UN 2020 schuf, das damals den Friedensnobelpreis gewann. Sie hat keine Bilder vom Frieden gemacht, sondern von den Effekten des Krieges, im Jemen, in Vietnam, und auch in Namibia. Auf diesem Foto sieht man zwei Frauen, eine stehend, die andere kniend, dazwischen ein schwarzes Geäst, umgeben vom Gelb der Wüste, in das die Herrero damals von der deutschen Kolonialmacht getrieben worden waren. Sexualisierte Gewalt: äthiopische Soldaten wurden aufgefordert, ihre Kriegshandlungen in Eritrea zu dokumentieren, dazu gehörte auch, Fotos von entblößten Frauen zu machen. Aïda Muluneh ehrt diese Frauen und denunziert diese Handlungen, indem sie das Porträt einer sitzenden Frau aufbaut wie ein Madonnenporträt der Renaissance und von den Bildrändern her schwarze Männerhände nach ihr greifen lässt.
Zum Abschluss des Rundgangs steht eigentlich der Beginn allen Seins: Forschungen haben ergeben, dass der erste Mensch überhaupt eine äthiopische Frau war, erläutert sie. Sie habe versucht, sich in diese erste Frau hineinzuversetzen. Wie ging es ihr damit, festzustellen, dass sie die einzige ist, die aufrecht gehen kann, die erste überhaupt? Aïda Muluneh, die im Jemen, in Kanada und in England aufwuchs und später nach Äthiopien zurückkehrte, hat dazu eine spielerische kleine Serie von einer in grelles Rot gehüllten Frau gemacht, wie sie unter einem leuchtendblauen Himmel einen grauen Steinhügel erklimmt. Mehr Symbolkraft geht kaum.