»Alice im Wunderland« in einer Inzenierung der Dramatischen Bühne

Immer wenn ich eine Vorstellung der Dramatischen Bühne besuche, frage ich mich, wo sie wohl ihren Thespiskarren versteckt haben, dieses Gefährt, das früher den Wanderschauspieler*innen wahlweise als Transportmittel und als Umkleidekabine zur Verfügung stand, wenn sie mal wieder ihre Bühne aufschlugen in den Ortsmitten und auf den Marktplätzen vor einem meist stehenden Publikum, das bestenfalls zahlte oder meistens spendete, und ihre Stücke spielten, oft mit würzigem Spott durchzogen. Spott auf die Herrschenden, Spott auf die Zustände. Krasser Gegensatz zum höfischen Theater natürlich, und Goethe und Racine hätten wohl kaum was für sie geschrieben, umgekehrt passt der Schuh aber schon.
Goethe, Schiller, Shakespeare, aber auch Edgar Allan Poe und Alexandre Dumas – die Dramatische Bühne hat sie sehr wohl auf dem Spielplan, und so augenzwinkernd wie deren Inszenierungen sind, so prall und auch so spöttisch, stelle ich mir sie als veritable Erbengemeinschaft dieser Wanderbühnen vor.
In »Alice im Wunderland« läuft dann auch gleich das ganze Publikum brav der hübsch bezopften Alice hinterher wie dem Rattenfänger von Hameln. Die Geschichte von Lewis Carroll ist hier ganz zauberhaft ausgebreitet in Parks, auf Bäumen, Baumstümpfen und Wiesen. Zur Not wird auch mal eine Parkbank leer geräumt für das muntere Spielgeschehen. Die Figuren tragen die glitzerndesten und merkwürdigsten Kostüme, die wunderbar nonchalant aus dem Fundus zusammengeklaubt wurden, und auch ein Hasenkopf geht auf dem Haupt von Thorsten Morawietz sehr wohl als weißer Kaninchenkopf durch, ein Spiel mit der Fantasie eben.
Nun darf man aber überhaupt nicht annehmen, hier ginge es nur niedlich und kindisch und wundersam zu. Die Dramatische Bühne nutzt das Surreale der Vorlage bis auf den letzten Buchstaben genüsslich aus, um sich über aktuelle politische Zustände auszulassen. Besonders gesellschaftliche Vielfalt und Diversität werden in den vielen Stationen durchbuchstabiert, die Alice durchläuft, ganz herrlich in dem Solo der Grinsekatze und in dem Auftritt von Diedeldei und Díedeldum, in dem Spiel mit dem Ich und dem Wir und dem Du. Scheppernder Bürokratenschimpf wechselt mit der absurden Teegesellschaft, die sich in ihrem eigenen Regelkorsett verheddert, und manchmal werden auch die Zuschauer mit kniffligen Logikrätseln auf die Probe gestellt. Während der gesamten Vorstellung werden wir mit der Aufforderung konfrontiert, die liebe Alice auf ihrer wundersamen Reise durch die Welt der Absonderlichkeiten bloß nicht aufwachen zu lassen, und wir, das Publikum, wachen am besten auch gar nicht auf. Das Chaos, die Verwirrung, hat System. Was ist wahr, was ist unwahr, ist die doppelte Verneinung schon ein Ja?
Und so wird hier sehr charmant und gekonnt eine kleine Abenteuerreise geboten, in einem unsichtbaren Theater, das eigentlich ein Park, aber vor allem auch: der eigene Kopf und die ganze Welt darin ist.

Susanne Asal / Foto: © Uwe Dettmar
Termine: 25. Juli, 20.15 Uhr im Grüneburgpark. Dort findet das Sommer-Theaterfestival bis Mitte August statt mit vielen weiteren Stücken.
www.diedramatischebuehne.de

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