Alison Knowles – eine Retrospektive der Fluxus-Künstlerin im Museum Wiesbaden

Wenn es nur ein einziges Fundament gäbe, auf dem die Fluxus-Bewegung ihre Theorie und Praxis aufbauen würde, dann wäre es die Frage: Was ist eigentlich Kunst? Nur ein Fetisch für den Markt? Wer definiert was? Kann man das nicht alles einfach über Bord werfen, diese ganze Kategorisiererei? Das Leben als Kunst definieren und vice versa, zum Beispiel?
Kann man sehr gut, würde die 91 Jahre alte New Yorkerin Alison Knowles sagen, das einzige weibliche Gründungsmitglied der auch in Wiesbaden beheimateten Bewegung: sich an den Tisch setzen, einen Salat schnipseln, getrocknete Bohnen ausbreiten, ein Mobile aus Artischocken basteln und gemeinsam mit anderen ein Tunfischsandwich zum Lunch verspeisen – wobei wir schon bei einigen der Ingredienzien ihrer Kunst wären, die jetzt in der Überblickschau im Museum Wiesbaden zu sehen sind. Keine Frage, auch der eigene Haushalt ist Kunst, hat da irgendjemand Einwände? Und wenn man irgendwann einmal damit angefangen hat, Neues zu auszuloten, Bekanntes zu hinterfragen, gibt’s eigentlich keine Grenzen mehr.
Und dieses Grenzen Sprengende, Koboldhafte beherrscht die ihr in Wiesbaden gewidmeten Säle, wobei das Oktagon wie stets den biografischen Einstieg liefert. Es ist eine fabelhafte Idee, dass hier zum Warmlaufen in das Thema eine Produktion des Hessischen Rundfunks vom 11. September 1962 in Endlosschleife gezeigt wird, welche die Veranstaltungsreihe »Fluxus – Internationale Festspiele neuester Musik in Wiesbaden« vorstellt. Unter den Stichwörtern »zerstörte Instrumente, Experimentalmusik und schrille Aktionskunst«, wohlgemerkt, denn das ist genau das, was das Auditorium vorgesetzt bekommt. Fabelhaft, wie die Zuschauer*innen, gerade auf den Zug des Wirtschaftswunders aufgesprungen, sich irgendwie irritiert kaputt lachen über diese provokanten Kunstaktionen, die doch so systemsprengend sind. Denn tiefernst ist das Ganze natürlich auch. Wie es auch schon Gustav Metzger im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zeigte, dessen Schüler Pete Townsend von den »Who« war: das Zerschmettern von Gitarren ist eine wütende Anti-Establishment-Aktion.
Im Untergrund läuft da die Skepsis mit: Was für eine Kunst machen nach diesem so furchtbaren, anti-zivilisatorischen Weltkrieg? Wie kann man da irgendwelche stilistischen Koordinaten akzeptieren; ist nicht das kreative Chaos, die absurde verstörende Aktion genau das, was die Köpfe durchbläst, wie Dada? Kunst sollte transformatorisch sein, seine Elemente sich verwandeln.
Diese Fluidität des Kunstbegriffs bringt ein Museum da an seine Grenzen: Den Charme von Happenings kann man schlecht ausstellen, gewollte Flüchtigkeit in Mauern bannen. Doch die Aktionen von Alison Knowles wurden auch fotografisch festgehalten, z.B. wie sie ihrem Mann Dick Higgins die Haare schneidet. Davon hat das Museum Wandtapeten fertigen lassen, so dass man durch ihre Aktionen hindurch schreitet und sieht, wie prophetisch sie eigentlich waren. Ein ganzer Saal ist diesen Performances gewidmet.
Alison Knowles liebt Bohnen, weiße, getrocknete Bohnen, und in einem »Bean Garden« darf man Schuhe und Strümpfe abstreifen und auf ihnen herumlaufen. Das Geräusch, das dabei entsteht, wird – ganz intermediale, marktabgewandte Kunst – durch Kontaktmikrophone akustisch verstärkt. Mit Bohnen gefüllte Klangkörper aus Flachs lassen sich einsetzen wie die rasselnden Wasserstäbe in der Ritualkunst. Alison Knowles liebt auch Papier, Stoffreste, Küchenutensilien, sie liebt Assemblagen und Objets trouvés. In einer Art Setzkasten versammelt sie Knöpfe, Garn, kleine Apothekerfläschchen. Eigentlich ist die ganze Schau eine stilistische Wunderkiste voller scharfsinniger Überraschungen. Yoko Ono, Marcel Duchamp inspirierten sie, mit John Cage verband sie eine enge Freundschaft, die auch zu gemeinsamen musikalischen Performances anregte. So wie sie Farben nach dem Zufallsprinzip einsetzte, so ging er mit Noten um.
Eine ihrer späteren hier ausgestellten Arbeiten ist das ihrem Bruder gewidmete spektakuläre »Boat Book«, eine raumgreifende Buchinstallation mit einem Sammelsurium an hintersinnigen Querverweisen zu seiner Arbeit als Fischer, darunter auch einem Stethoskop für einen Wal.
Diese in sieben Stationen gefasste, rund hundert Exponate umfassende Ausstellung war zuerst in San Francisco zu sehen und ist nun auf Wiesbaden zugeschnitten worden, das neben Düsseldorf Heimat für Fluxus war und bleibt. Insofern kehrt Alison Knowles auch an ihre Ursprünge zurück – bei dem eingangs erwähnten Film ist sie eine der Protagonist*innen.

Susanne Asal
Foto: The House of Dust, 1967/2021. Kranzplatz Wiesbaden. Foto: Wolfgang Günzel / © tinyBE Wiesbaden, 2021
Bis 26. Januar: Di., Mi., Fr., Sa., So, 10–17 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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