Bestechend unbestechlich: »Hierzulande« – die Opelvillen stellen Robert Lebeck aus

Kennen Sie das? Sie schauen in den Spiegel und der Tag: na ja …
Man kann es auch so formulieren: über Jahrzehnte hinweg hat der Fotojournalist Robert Lebeck (1929–2014) der Bundesrepublik den Spiegel hingehalten. Was darin sichtbar wird, ist nicht uneingeschränkt schmeichelhaft. »Hierzulande«, die neue Ausstellung in den Opelvillen, blättert mit Hilfe von 150 seiner Schwarzweiß-Fotos eine weitgehend ungeschminkte Biografie Deutschlands auf. Den typischen Lebeck-Reportagen-Stil vergisst man nicht so leicht: Die Fotos erscheinen spontan und durchkomponiert zugleich, mit der Anmutung eines zufälligen Schnappschusses, der jedoch eine ganze Geschichte durchschimmern lässt. Und besonders seiner Serie zu Sankt Pauli und dem Hamburger Fischmarkt aus den Anfängen der 1960er Jahre wohnt eine unverhohlene Empathie mit den Armen, Ausgesetzten, am Rande der Gesellschaft Stehenden inne, mit dem Aufgerauten des Milieus, so dass man sich fast wünscht, er würde auch heute noch seinen zärtlich-unerbittlichen Blick auf die Brüchigkeit der Gesellschaft richten. Nie ist er entlarvend oder diffamierend, nie arrogant und eigentlich auch nie distanziert. Auch nicht bei seinen Fotos von Sylt, damals schon einem Treffpunkt der Reichen, Schönen und Nudisten.
Und gleichzeitig hat er eine Form von Denkmal-Kunst geschaffen. Der Autodidakt Lebeck hat sich nie an tatsächlichen Denkmälern orientiert, nichts weniger als das, aber er hat sie erzeugt. Das schwierige Ringen um eine Nachkriegs-Identität, geleerte Blicke in den Gesichtern der Spätheimkehrer aus dem Jahr 1955, die er nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter zeigen wollte. In den für die »Revue«, »Kristall« und später dem »Stern« entstandenen Arbeiten kommen die Deutschen schwerfällig, verkniffen, verbiestert daher, selten sind sie fröhlich und ausgelassen. Sie blicken sich nicht an, und auch wenn sie tanzen, lachen sie nicht. Wie gerne hat Robert Lebeck auch vom unbeschwerten, fröhlichen Lachen erzählt – das wird in einem Foto deutlich, auf dem zwei strahlende Mädchen die Marylin-Pose mit wehendem Rock über einem U-Bahn-Schacht nachzuahmen versuchen. Und er findet es später wieder in dem Lachen Romy Schneiders, die er bei den Dreharbeiten zu »Gruppenbild mit Dame« begleitet hat.
Robert Lebeck wollte Fotograf werden, seit er das weltberühmte VJ-Day-Foto von Alfred Eisenstaedt am Times Square sah, das die Kraft und Poesie hatte, zum Symbol für den Sieg der US-Army über Japan am 14.8.1945 zu werden: ein Matrose umarmt stürmisch eine Krankenschwester – eine zur Momentaufnahme eingefrorene Zeit-Geschichte. Diese damals in »Life« und »Look« publizierten stilisierten Dokumentaraufnahmen galten als sein künstlerisches Vorbild: vielschichtig, aber auch gerne plakativ zu erzählen. Kaum kann man es sich heute noch vorstellen, wie wirkungsmächtig, kunstvoll und differenziert bundesdeutsche Zeitschriften Bilder von gesellschaftlicher Identität zu erschaffen vermochten, zu deren bedeutsamsten Stilisten Robert Lebeck zweifellos gehört. Die Opelvillen haben aus gutem und nicht nostalgischem Grund sein fotojournalistisches Werk in Deutschland in den Mittelpunkt gestellt, denn es sind unsere Geschichten, die hier erzählt werden, beispielsweise auch die vom sterbenden Wald.
Von den 1960er Jahren an machte ihn aber eine weitere Qualität zum begehrten Porträtisten von Prominenten wie Elvis Presley, Alfred Hitchcock und Maria Callas. Er stellte sich ihnen so unauffällig zur Seite, dass sie ihn gar nicht zu bemerken schienen. Er zeigt einen leicht verunsicherten blutjungen Elvis in den US-Kasernen von Bad Nauheim und Wiesbaden, Winston Churchill beim Adenauer-Empfang zwischen voluminösen Satinballröcken und einen selbstironischen Alfred Hitchcock im Elbtunnel, und er zeigt eine wie entrückte Diva Maria Callas im Hotelzimmer. Er sei einer Göttin begegnet, sagte er später.
Aus den Tiefen eines kollektiven Gedächtnisses tauchen seine Aufnahmen der Bonner Republik von 1956 bis 1974 wieder an die Oberfläche der Gesellschaft: mit einem sich stilsicher auf den Schreibtisch schwingenden Superminister Karl Schiller und einem grantelnden Helmut Schmidt. Willy Brandt hat er zwei Jahre lang begleitet.
Und wie sehr verehrte er Romy Schneider und ihren Kampf um Selbstbehauptung in einer immer noch leicht feindselig gestimmten Republik, die ihr bis in die späten 1970er Jahre wohl nicht zu verzeihen schien, ihr Sissi-Image längst in die Mottenkiste verabschiedet zu haben.
Diesem Zeitzeugen mit dem unbestechlichen Blick jetzt wieder zu begegnen, mündet unweigerlich in Fragen nach dem Fundament der Bundesrepublik. Das ist wirklich mehr als lohnend. Material dafür ist reichlich vorhanden.

Susanne Asal / Foto: Romy Schneider am Set 1976
© Archiv Robert Lebeck
Bis 15.Juni: Di., Do.–So., 10–18 Uhr; Mi., 10–20 Uhr
www.opelvillen.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert